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Die Premiere des ersten Stücks von Kay Voges in dieser Spielzeit (2017/18) – „Der Theatermacher“ – ist voll mit Andeutungen. Das Stück an sich enthält eine ständige Anspielung auf den Brandschutz – ist quasi ein Denkmal für den unbekannten Feuerwehrmann. Das ist im Dortmunder Ensemble immer noch eine wunde Stelle. Auch der unwirkliche Ort, in dem das Stück spielt, erinnert weniger an ein Gasthaus in Utzbach (wo um Gottes willen ist Utzbach?) als an den Megastore (die Ausweichspielstätte des Theater Dortmund, als dieses wegen Brandschutzbestimmungen renoviert wurde).
Worum geht es bei „Der Theatermacher“
Der Staatsschauspieler Bruscon macht auf seiner Tournee in dem kleinen Dorf Utzbach Halt und will dort sein Stück „Das Rad der Geschichte“ erfolgreich auf die Bühne bringen. Er bringt seine ganze Familie, Frau, Sohn und Tochter als Schauspieler mit.
Doch Bruscon ist ein Tyrann. Er beklagt sich ständig beim Wirt des Gasthauses. Er erwähnt hier auch die unbedingte Notwendigkeit der Löschung des Notlichtes am Ende des Stückes. Dazu kommen wir später nochmal. Der Raum ist nicht schön, der Boden vielleicht nicht tragend, Utzbach zu klein für so ein Meisterwerk und überhaupt ist auch noch „Blutwursttag“. Alle Schauspieler werden runtergeputzt. Keiner ist gut genug. Dem Sohn gegenüber wird er sogar handgreiflich, seine Frau ist schon verstummt…
Dann kommt der Moment, in dem die Frittatensuppe bestellt wird – und hier bricht Voges das Stück ab und lässt den Loop beginnen. Bis dahin ist alles durchaus nahe am Stück von Thomas Bernhard.
Andreas Beck gibt wunderbar den Großschauspieler Bruscon, was zu erwarten war. Überrascht hat mich aber Uwe Rohbeck als Wirt. Mit einer braunen Lockenperücke steht er Bruscon ständig zur Seite. Seinen wenigen Text begleitet er mimisch. Er kommentiert so jede Tirade von Bruscon. Großartig, wie er – nahezu unbeachtet von Bruscon – die tadellose Funktion seiner Rolltore vorführt. Köstlich, wie er irgendwann beginnt, den Staatsschauspieler in seinen Posen nachzuahmen. Da kündigt sich bereits an, was später noch alles verändern wird.
Der ewige Loop
Der zweite Loop hat vor allem eins: mehr Geschwindigkeit. Was im erstem Loop über eine Stunde dauert, gibt es jetzt in 20 Minuten. Der Sohn hat nicht einen gebrochenen Arm, sondern zwei. Und: Abbruch. Es fängt von Neuem an. Diesmal ist Uwe Rohbeck Brucson und Andreas Beck gibt den Wirt. Der Staatsschauspieler wird zu einer tänzelnden Tunte. Andreas Beck mit Afro-Perücke als stiller Wirt wirkt irgendwie doch mehr beleidigt, da er jetzt nicht mehr die Hauptfigur spielt.
Wieder Abbruch – neuer Loop. Es werden im Ganzen neun Loops. Jeder ein wenig kürzer, ein wenig hysterischer, ein wenig schneller.
Dann hat Christian Freund seinen großen Auftritt als Operettenprinz (und Theatermacher). „Der Theatermacher – die Operette“ mit der genialen Musik von Tommy Finke. Janine Kreß und Xenia Snagowski, die als Frau und Tochter Bruscon bisher eher im Hintergrund standen, geben jetzt die Backgroundgirls und Beck fährt als mittlerweile komplett eingegipster Sohn im Elektrorollstuhl herum.
Im nächsten Loop übernehmen die Frauen. Für den Chauvi Bruscon (wieder Beck) wirklich schlimm.
Erneut: ein neuer Loop. Xenia Snagowski klettert jetzt als eine Art feministische Punk-Rockerin durch den Zuschauerraum und brüllt den Text zu lauter Musik. Der vorletzte Loop hingegen ist eine Art irres Naziballett mit endlosen Internet-Hasskommentaren.
Dann das erstaunliche und plötzliche Ende. Der Theatermacher ruft: „Können wir nicht einfach mal nett sein? Einfach mal nett zueinander sein?“. Das ist das Ende des Theaters. Dies steht auch auf dem Eisernen Vorhang, der sich senkt, während eine Stimme dazu auffordert, sofort das Theater zu verlassen.
Empörung und #MeToo
Das alles ist schnell und aufgeregt und verdeutlicht damit die Empörungsschlaufe. Was es bereits in der Vorbereitung von Thomas Bernhardt gab. Bernhardts Vorgängerstück wurde in Salzburg von Claus Peymann aufgeführt. Er verlangt am Ende des Stückes absolute Dunkelheit. Dies wurde ihm zugesagt, aber aus Brandschutzgründen dann doch nicht gemacht. Hier rüber empörte sich Peymann, dann empörte man sich über Peymann, dann empörte man sich über die Empörung über Peymanns Empörung, und so weiter und so weiter.
Etwas, was wir im Moment in Social Media, in den Netzwerken ständig erleben. Das eigentlicher Ereignis rückt in den Hintergrund – es geht nur noch um die Empörung. Damit sind wir auch gleich beim zweiten Thema dieser Aufführung, bei #MeToo. Um die Frage, was darf man bzw. der Theatermacher und was nicht.
Bruscon ist ein Tyrann, er ist ausfallend, er ist gewalttätig, er demütigt. Aber er ist auch der Einzige, der an die große Kunst glaubt. Der Einzige, der Kultur nach Utzbach bringen will. Also – was ist erlaubt für die Kunst? Was nicht? Wann geht er zu weit? Ist #MeToo nicht immer auch ein „Was machen die Anderen“? Was machen die Anderen, während einer gedemütigt wird. Schauen sie weg und sind froh, nicht selbst dran zu sein oder spiegeln sie den Tyrannen und sagen: „So nicht!“?
Das ist großes, modernes Theater. Gleichzeitig anstrengend und hysterisch und zutiefst beglückend.
Details
Mit:
- Andreas Beck
- Christian Freund
- Janine Kreß
- Uwe Rohbeck
- Xenia Snagowski
in wechselnden Rollen als Bruscon, Bruscons Frau, Ferruccio, Sarah, Wirt.
Regie: Kay Voges
Bühne: Daniel Roskamp
Kostüme: Mona Ulrich
Musik: Tommy Finke
Video Art: Mario Simon, Tobias Hoeft
Dramaturgie: Michael Eickhoff, Matthias Seier
Die nächsten Termine
07. Juni, 24. Juni, 06. Juli, 13. Juli 2018 im Schauspiel Dortmund am Hiltropwall
Preise
Je nach Sitzplatzkategorie liegen die Preise zwischen 9 und 23 €.
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