Sina Martens, Stephanie Eidt, Annika Meier, Merle Wasmuth © Birgit Hupfeld

Theater Dortmund: Die Parallelwelt

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Da verließ ich das Theater mit dem Vorsatz, meine Eindrücke einer Inszenierung postwendend zu Papier zu bringen. Ich versuchte, all meine Gedanken zu ordnen und in sinnvolle Zeilen zu übertragen; doch dann brauchte es Wochen, bis das geschah. Nein, es ist nicht leicht, „Die Parallelwelt“ von Kay Voges zu beschreiben. Ich habe selten eine Inszenierung erlebt, die gewohnte Sichtweisen aufhebt und den Zuschauer zu den existentiellen Fragen des Daseins führt. Und da bin ich auch schon mitten drin in der Thematik der “Parallelwelt” am Schauspiel Dortmund.

Die Inszenierung von “Die Parallelwelt”

Im Grunde geht es in dieser Inszenierung um das Leben von Fred, dessen Leben auch das von jedem anderen Menschen sein könnte. Geburt, Kindheit, Jugend, Beziehungen, Hochzeit, Alter und Sterben. Fred also als der Prototyp Mensch ohne besondere Eigenschaften.

Was Kay Voges aber daraus macht, ist etwas ganz Außergewöhnliches im Theater. Zum einen handelt es sich hier um eine Simultaninszenierung getragen von zwei Bühnen, die genau 420,62 km auseinander liegen – des Dortmunder Schauspielhauses und des Berliner Ensembles. Zum anderen setzt er ganz auf die technischen Möglichkeiten der digitalen Übertragung. Möglich macht dies ein Glasfaserkabel, das nahezu zeitgleich die Geschehnisse beider Häuser überträgt.

Die Bühnen – Schauspiel Dortmund & Ensemble Berlin

Wie solltest Du Dir dieses Medienspektakel nun vorstellen? Die Bühne ist eine riesige Leinwand, die in vier Quadrate unterteilt ist. Im unteren Bereich öffnen sich ab und an zwei Fächer, in denen analoges Bühnengeschehen zu sehen ist. Der Clou besteht nun darin, dass das Schauspiel Dortmund und das Berliner Ensemble simultan spielen und das Publikum jeweils das Spiel beider Orte verfolgen kann.

Friederike Tiefenbacher, Uwe Schmieder, Stephanie Eidt, Sina Martens, Miriam Kolesnyk, Benjamin Hartlöhner (beide Kamera), Josefin Platt © Birgit Hupfeld
Friederike Tiefenbacher, Uwe Schmieder, Stephanie Eidt, Sina Martens, Miriam Kolesnyk, Benjamin Hartlöhner (beide Kamera), Josefin Platt
© Birgit Hupfeld

In Dortmund erlebst Du das Leben des Fred beginnend beim Sterben bis zur Geburt. In Berlin beginnt alles mit Freds Geburt bis hin zum Sterben. Es ist also möglich, dass ein und dieselbe Person in einer Parallelwelt ein dupliziertes Leben führen kann und zwar auch in der entgegengesetzten chronologischen Abfolge. Unsere Definition von Zeit und Raum ist demnach aufgehoben. Das ist die notwendige Konsequenz einer digitalisierten und vernetzten Welt.

Quantenphysik im Theater

Die Inszenierung basiert auf eine Collage aus philosophischen, literarischen und naturwissenschaftlichen Textbausteinen und Anspielungen. Jeder kommt zu Wort von Heraklit bis Heisenberg. Auch hier ist jede Chronologie aufgehoben.

Sina Martens, Stephanie Eidt, Annika Meier, Merle Wasmuth © Birgit Hupfeld
Sina Martens, Stephanie Eidt, Annika Meier, Merle Wasmuth
© Birgit Hupfeld

Was ich erlebe, ist die Quantenphysik, die Einzug ins Theater hält. Nichts ist im Grunde berechenbar und alles ist möglich. Ein Objekt kann sich gleichzeitig an mehreren Orten aufhalten. Eine Katze kann gleichzeitig tot und lebendig sein. All diese Thesen tauchen in dieser Inszenierung auf, teils als Zitat und teils als Bild. Das Konzept der Quantenphysik, das teils aus für uns widersinnigen Gesetzen besteht und dem gesunden Menschenverstand ganz und gar widerspricht, wird erfahrbar gemacht. Da möchte ich jetzt nicht weiter ins Detail gehen, weil ich hier auch nicht alles erfassen kann.

Die Wahrnehmung des Menschen als (Bewegt-)Bild

Interessant ist es auch, dass Kai Voges das Grundprinzip des Theaters aufhebt. Er lässt ein Theaterstück in zwei Räumen gleichzeitig aufführen und hebt so den direkten Austausch zwischen Schauspieler und Zuschauer nahezu auf. Auf diese Weise vermischen sich Theater und Film. Stets werden die einzelnen Szenen von Kameraleuten aufgenommen. Die Nahaufnahmen haben einen leichten Anklang von Voyeurismus. Gesten und Sprache der Schauspieler sind ganz den Filmkonventionen angeglichen.

Frank Genser, Xenia Snagowski, Bettina Lieder, Merle Wasmuth, Friederike Tiefenbacher, Stephanie Eidt, Oliver Kraushaar, Annika Meier, Owen Read, Uwe Schmieder (rechts unten) © Birgit Hupfeld
Frank Genser, Xenia Snagowski, Bettina Lieder, Merle Wasmuth, Friederike Tiefenbacher, Stephanie Eidt, Oliver Kraushaar, Annika Meier, Owen Read, Uwe Schmieder (rechts unten)
© Birgit Hupfeld

Bis zur Hochzeitsszene, dem Schnittpunkt der Inszenierung, wird das analoge Spiel durch die auf der Leinwand projizierten Kamerabilder erschlagen. In dieser dann fast boulevard-ähnlichen Hauptszene beginnen Darsteller, die bei all dieser Bildgewalt nur eine Nebenrolle spielen, zu interagieren. Es ist eine Lust ihnen zuzuschauen. Mir wird erst einmal bewusst, wie sehr ich mich auf die Bildschirme fokussierte, um mir dann ab und an auch das analoge Bühnengeschehen anzusehen. Der Mensch wird im Grunde nur noch als Bild oder als Videoaufnahme wahrgenommen.

Auch das ist ein Tribut der Digitalisierung. Überhaupt läuft in dieser Inszenierung viel über die kognitive Betrachtungsebene. Das Stück lebt von seiner Bilderwucht und seiner philosophischen Tiefe. Der Zuschauer ist gefordert, sich darauf einzulassen.

Was solltest Du aus “Parallelwelt” mitnehmen

Kay Voges und Team haben hier mit Erfolg versucht, eine Theaterform zu erschaffen, die in all ihrer Konsequenz genau dem gegenwärtigen Zeitgeist mit all seinen technischen Entwicklungen und Einwirkungen entspricht. Ich bin der Meinung, dass Theater immer mit dem Jetzt agieren muss, um nicht irgendwann in den alten Konventionen zu ersticken. Dies ist hier perfekt gelungen.

Details

“Die Parallelwelt” – Eine Simultanaufführung zwischen Berliner Ensemble Schauspiel Dortmund von Alexander Kerlin, Eva Verena Müller und Kay Voges.
Im grossen Haus des Berliner Ensembles und im Schauspiel Dortmund. 

Aufführungsdauer: ca. 2 Stunden, keine Pause

Die nächsten Aufführungstermine:

  • Fr, 07. Dezember 2018
  • Sa, 02. Februar 2019
  • Sa, 23.Februar 2019
  • So, 28. April 2019
  • Mi, 19.Juni 2019
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Nicole

Nicole ist Bochumerin und hat irgendwann einmal Theaterwissenschaften studiert. Parallel dazu hat sie in den verschiedensten Bereichen am Theater gearbeitet, unter anderem auch als Regieassistentin. Auf diversen Umwegen ist sie Floristin geworden und ist dann bei Blumen Plaesier auf den Bochumer Wochenmärkten gelandet. Nebenbei schreibt sie als Theaterscout für die Bochumer Ausgabe der WAZ Kurzkritiken und ist leidenschaftliche Theatergängerin.

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