Zuletzt aktualisiert: 04.01.2023
Kurz vor seinem überraschenden Tod im September 2019 kuratierte Peter Lindbergh “Untold Stories” für den Kunstpalast Düsseldorf – seine erste Werkschau mit insgesamt 140 Werken aus rund 30 Jahren fotografischer Arbeit.
Situation im Kunstpalast nach Wiedereröffnung (Corona)
Vor einigen Wochen, es war Mitte Mai, habe ich es endlich doch noch in die Peter-Lindbergh-Ausstellung in Düsseldorf geschafft. Die Museen hatten gerade erst begonnen, sich nach der Schließung aufgrund von SARS-CoV-2 wieder langsam zu öffnen. Mit einem sehr strengen Hygieneprotokoll und eine limitierten Anzahl an Menschen im Museum.
Die Tickets konnte ich online auf der Website des Kunstpalastes mit entsprechendem Einlassslot erwerben und direkt am vor dem Eingang aufgebauten Checkpoint vorzeigen und so problemlos in die Ausstellung – natürlich nur nach Benutzung von Desinfektionsmittel und mit Mund-Nase-Schutz. Ohne Onlineticket wurden nur begrenzt Menschen ins Museum gelassen, um dort mit Abstand ein Ticket zu kaufen.
Die Ausstellung war an diesem Freitag im Mai gut besucht. Seit 10 Tagen waren die Räume des Kunstpalasts wieder für Besucher geöffnet und die Ausstellungen inklusive der Fotoausstellung “Untold Stories” von Peter Lindbergh verlängert. Trotz Begrenzung der Menschen in der Ausstellung kam es mir ungemein voll vor. Auch schienen die Menschen nicht unbedingt viel Wert auf Abstand zu legen. Oft hatte ich das Gefühl, dass der Virus für manche weder nach hinten noch seitwärts wandern könnte. Ganz zu schweigen von den Menschen, die meinen, ihre Nase wie einen Penis über der Unterhose aus dem Mund-Nase-Schutz raushängen zu lassen – bitte entschuldige diese Direkheit.
Es wurde ein anstrengender Slalomlauf für mich, weil ich das Gefühl hatte, das bis auf wenige Ausnahmen keiner wirklich Rücksicht üben wollte. Nach rund einer Stunde wollte ich erschöpft nur noch aus der Ausstellung raus – unabhängig davon, wie großartig diese ist!
Peter Lindbergh: “Untold Stories” – die Ausstellung
Die erste und einzig von ihm kuratierte Werkschau zeigt 140 großformatige Fotos aus dem mehr als 30-jährigen Schaffen des Duisburger Fotografen Peter Lindbergh. Dabei unterteilt sich die Fotoausstellung in drei Bereiche.
Die Fototapete – Das “Manifest”
Der erste Raum, der auf der einen Seite Eingang und auf der anderen Seite Ausgang zu gleich ist, beeindruckt durch eine riesige Fototapete (aus Bluebacks, auf Affichenpapier gedruckt) mit im ersten Moment unzusammenhängenden übergroßen Fotos. Darunter Portraits der Schauspielerinnen Jessica Chastain und Helen Mirren sowie dem Supermodel Naomi Campbell. Aber auch Bilder, die den Industriestil der 1980er Jahre repräsentieren, den u.a. auch Depeche Mode am Anfang ihrer Karriere anhingen – eine demonstrative, geballte Darstellung seiner Idee von Modefotografie.
Im weiteren Verlauf der Ausstellung, die sich nach diesem Raum mit der Fototapete ungewöhnlich teilt, stieß ich noch auf eine weitere Wand, die mit riesigen Fotos tapeziert wurde – nur echt mit Kleister aufgebracht. Ein gewollter Bruch von Lindbergh mit seinen gerahmten Fotos durch die dadurch entstehende Rauheit und Ungenauigkeiten, da sich der Kleister durch die Fotos drückt.
Vor allem der Blick von Schauspielerin Nicole Kidman nahm mich sofort gefangen, umringt von Fashionfotoshoots und Straßenszenen. Ich erkannte auch einige Fotos aus einer früheren Ausstellung wieder, die ich vor wenigen Jahren im NRW-Forum unweit des Kunstpalasts angesehen hatte. Die Lindbergh/Winogrand-Ausstellung “Woman On Street” beinhaltete einige Fotos des Models Annie Morton, die mich 2017 leider nicht wirklich erreichten. In dem Zusammenhang mit vielen anderen, so unterschiedlichen Motiven und dem traurigen Hintergrund des Todes von Peter Lindbergh im September 2019, ergaben sie hier aber einen Sinn und waren durchaus spannend.
Fotos hinter Glas
Der sich nach dem Raum mit der ersten Fototapete öffnende Bereich ist im Gegenzug zu der dunklen Fototapete strahlend hell. Der Bereich teilt sich, weil der Zuschauer auf eine Schmalseite zuläuft. Dies macht man in einer Ausstellungskonzeption eigentlich nicht – eröffnet aber dadurch bemerkenswerte Perspektiven.
Peter Lindbergh war anders und als Kurator hat er den Kunstpalast mit Generaldirektor Felix Krämer quasi vor vollendete Tatsachen gestellt. Der Kunstpalast musste nichts mehr tun, außer die Ausstellungsarchitektur zu bauen und die Bilder aufzuhängen.
Einblick in die Entstehung von “Peter Lindbergh – Untold Stories”
Es sind viele Bilder, die hier hängen. Groß und gerahmt. Aber nicht hinter dem Standardmuseumsglas, sondern hinter nicht entspiegeltem Glas. Diese Offenheit war Teil von Lindberghs Konzept. Er dachte das mit, was sich darin spiegelt. Die Fotos bildet somit einen wunderbaren Kontrast zu Tapeten und ihrer Stumpfheit. Doch 140 Bilder waren Peter Lindbergh eigentlich nicht genug. “Untold Stories” ist der erste Überblick über sein Gesamtschaffen von über 30 Jahren und er wollte “alles” zeigen.
Felix Krämer musste daher oft insistieren, dass nur eine bestimmte Anzahl von Bildern sinnvoll ist, damit die Menschen nicht irgendwann übersättigt sind und die Fotos nicht mehr wahrnehmen. Mehrfach haben sie Krämer und Lindbergh sowohl in Paris, wo Lindbergh sein Studio hatte, als auch in Düsseldorf getroffen, die Bilder ausgebreitet und über die Ausstellung gesprochen. Lindbergh, der noch nie eine Ausstellung kuratiert hatte, kniete sich intensiv in das Thema hinein und erstellte eine vielschichtige und mutige Ausstellung, die eben nicht nur seine klassischen Ikonen zeigt. Für ihn war es laut Krämer quälend, sich auf “wenige” Bilder zu beschränken.
Die Entscheidung für ein Bild ist immer eine gegen viele andere.
Auch der Titel der Ausstellung, “Untold Stories”, stammt von Peter Lindbergh und stand von Anfang an für ihn fest – und “nicht erzählte Geschichten” passen perfekt. Zu keinem Foto gibt es eine Erklärung oder Hintergründe. Auch gegenüber dem Kunstpalast äußerte Lindbergh nicht, was es mit der Hängung und Zusammenstellung sowie den drei farbigen Fotos zwischen all den Schwarz-Weiß-Fotos auf sich hat. Diese Geschichten werden auch für immer ungesagt bleiben. Mysteriös und doch auch gut, so dass Du jedes Mal wieder Neues, neue Persepktiven und Zusammenhänge entdecken kannst, wie z.B. warum ein Foto an einer bestimmten Stelle hängt. Wir müssen uns das selbst beantworten und in die Tiefen von Lindberghs Biografie abtauchen.
Warum hängt hier eigentlich alles wild durcheinander?
Besonders deutlich wird dies an einem Beispiel, welches Krämer in einem Livestream des Kunstpalastes zur Ausstellung erzählt. Es gibt ein Foto eines Delfins, welches vorher noch nie publiziert wurde. Dies hängt gemeinsam mit anderen Bildern zusammen, die in Duisburg entstanden. Auf den ersten Blick erschließt sich dem Betrachter kein Zusammenhang. Doch beim Beschäftigen mit der Biografie des Fotografen wird deutlich, dass Duisburg in Peter Lindberghs Kindheit europaweit für seine Delfinshows bekannt war. Deswegen war es für ihn logisch, das Foto eines Delfins mit Fotos aus seiner Heimatstadt zu kombinieren.
Er hat immer in Gruppen gedacht, nicht in Bildern.
Felix Krämer (Kunstpalast) über Peter Lindbergh
Was für mich am erstaunlichsten war: das überall immer wieder auftauchende “Maskenmotiv”. Die Schweißermaske zieht sich durch die Ausstellung wie ein roter Faden. In Zeiten von Corona und Mund-Nasen-Schutz tragenden Besucher ein etwas gruselig-prophetisches Motiv der Ausstellung. Diese Geschichte konnte er nicht im Kopf gehabt haben. Aber die Masken lösen sicherlich nicht nur bei mir diese Gedanken im Kopf aus. Genau das, was LIndbergh mit dieser Ausstellung erreichen wollte: Geschichten im Kopf beim Betrachten seiner Fotos.
“Das Testament” – die unbekannte Seite von Peter Lindbergh
Oben erwähnte ich drei Farbfotos in der Ausstellung. Eigentlich sind es ein paar mehr. Diese gehören aber direkt zur Videoinstallation “Das Testament”, welche sich in einem eigenen abgetrennten Bereich hinter der zweiten Fototapete befindet. Diese 2013 entstandene und eher unbekannte Arbeit Lindberghs zeigt seine Auseinandersetzung mit Selbstbeobachtung, Ausdruck und Empathie, aber auch mit Freiheit. Denn der gezeigte Mann auf den Fotos und dem Video ist der zum Tode verurteile Mörder Elmer Carroll, der in Florida einsitzt.
Peter Lindbergh hat ihn durch einen Einwegspiegel aufgenommen, bei dem dieser sich selbst 30 Minuten lang und ohne große Mimik selbst betrachtet. Kleinste Regungen zeigten sich. Mikroexpressionen, die ihn mal uninteressiert und distanziert, mal traurig auf mich wirken ließen. Faszinierend. Dazu ein dunkler Raum, in dem einzelne Portraits beleuchtet sind und in denen sich die Menschen und andere Fotos spiegeln.
Diese niemals zuvor gezeigte Installation beleuchtet einen weiteren, bisher unbekannten Teil von Peter Lindberghs schaffen und rundet die Werkschau ab. “Untold Stories” ist wahrlich der Überblick über eine vielschichtige, grandiose und lange Karriere als Fotograf, der mehr als Fashion konnte und so selbst zu einer Ikone wurde. Schade, dass sie so überraschend ein letztes Ausrufezeichen setzt. Aber ein Segen, dass Peter Lindbergh selbst sein Vermächtnis noch mitgestalten konnte, wenn gleich es auch immer ein wenig makaber sein wird.
Weitere Informationen zur Ausstellung “Untold Stories”
Die Ausstellung wird vom Kunstpalast Düsseldorf in Kooperation mit dem Peter Lindbergh Studio, Paris organisiert. Die Werkschau wird außerdem im Museum für Kunst und Gewerbe Hamburg (20. Juni bis 1. November 2020), im Hessischen Landesmuseum Darmstadt (4. Dezember 2020 bis 7. März 2021) sowie im Museo d’Arte Contemporanea Donnaregina in Neapel (März bis Mai 2021) gezeigt.
Ursprünglich war die Ausstellung in Düsseldorf vom 05.02. bis 01.06.2020 geplant. Durch die Schließung während der Coronakrise wurde die Ausstellung zunächst bis zum 12.07., dann bis zum 27.09.2020 verlängert. In dieser Zeit wird die Aussellung parallel zur Ausstellung in Hamburg laufen, die eigentlich als Folgestation geplant war. Mit Einverständnis der Familie des Fotografen hat das Studio Lindbergh die Ausstellung nochmals produziert.
„Ich freue mich sehr, dass unsere vor der Coronakrise erfolgreich gestarteten Ausstellungen auch seit ihrer Wiedereröffnung ein anhaltendes Besucherinteresse verzeichnen. Aufgrund dieses Erfolges und dank der Unterstützung der Familie Lindbergh […] können wir die Präsentationen länger als ursprünglich geplant geöffnet lassen.”
Felix Krämer, Generaldirektor Kunstpalast.
2022/2023 läuft die Ausstellung in Brüssel. Vom 15.12.2022-14.05.2023 kannst Du “Untold Stories” im Espace Vanderborght besichtigen. Aus dem Ruhrgebiet und dem Rheinland bietet sich eine Anreise mit dem Thalys nach Brüssel an.
Adresse
Kunstpalast Düsseldorf
Ehrenhof 4-5
40479 Düsseldorf
Lesetipp
Buchtipp/Ausstellungskatalog*:
- Krämer, Felix (Autor)
Letzte Aktualisierung am 2024-11-21 / Affiliate Links (Werbelinks) / Bilder von der Amazon Product Advertising API
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Fotos: Wenn nicht anders angegeben, stammen die Fotos von Simon Bierwald & mir und unterliegen unserem Urheberrecht. Die Bilder von Peter Lindbergh unterliegen dem Urheberrecht seiner Familie/Peter Lindbergh Studio, Paris. Die Fotos dienen nur zur redaktionellen Berichterstattung über die Ausstellung.
Offenlegung: Wir waren aus eigenem Interesse und auf eigene Kosten in der Ausstellung.
Danke; ich war gestern im MKGHamburg und bis auf das spektakuläre Hamburger Treppenhaus mit Lindbergs Bildern, ist die Ausstellung offenbar eine Kopie von Düsseldorf. Unser Fußboden spiegelt nicht so.
In der Tat habe ich mit der Hängung gefremdelt; mochte gar nicht glauben, dass PL selbst das so gewollt hat. Wie hat sie Dir gefallen? Denkst Du, dass man eine Chance hat die Photogruppen zu entschlüsseln? Offenbar sind es semantisch/biographische, aber nur sehr selten ästhetische Überlegungen, die dahinter verborgen sind.
Auf einer Veranstaltung durfte ich Peter Lindbergh live erleben. Er war ein wunderbarer Mensch und großartiger Erzähler! Dieser Erinnerung komplementiert für mich die Ausstellung – ohne diesen Eindruck wäre ich wohl von der jetzigen Ausstellung enttäuscht gewesen, obwohl ich Lindbergh für einen großen Photographen halte.
/BTW Der Delfin ist bereits im Katalog zur 1997er Ausstellung dabei.
Hättest Du den Beitrag gelesen, wären alle Fragen beantwortet… ;) Es handelt sich um die identische Ausstellung. Hamburg ist die nachfolgende Station, die jetzt aber aufgrund der Krise parallel läuft. Mir hat das sehr gefallen und ja, es ist biographisch und auch in einer gewissen Chronologie – daher ist eine Kenntnis der Biographie in Teilen hilfreich, lässt aber auch viel Freiraum für eigene Geschichten im Kopf. Das war so gewollt (siehe Text).
Das es keine Erklärungen zur Ausstellung gibt, stammt die Aussage zum Delfin, wie auch geschrieben vom Generaldirektor des Kunstpalastes. Ich gehe davon aus, dass er mit publiziert meinte, dass das Bild tatsächlich mal verkauft oder ausgestellt wurde. Ein Katalog ist für mich keine Bildveröffentlichung des Künstlers im ursprünglichen Sinn.
Moin Romy,
schon klar. Aber “identisch” geht ja nur bis zu einem gewissen Grade, da die Architektur der Museen fest steht. Die Blickachsen zwischen Nicole Kidman vom gerahmten Bild zur tapezierten Wand gibt es in Hamburg so nicht, da die Ausstellung auf 2 Flügel verteilt ist. Und auch die Spiegelungen der Besucher im Glas sind ja immer und überall unterschiedlich. Den von Dir hergestellten Bezug von den Schweißermasken zu den aktuell notwendigen Atem- und Gesichtsmasken finde ich richtig; und es ist auch ein Beispiel dafür, daß Kunst immer im Kontext der Besucher wirkt.
Eine Änderung der Subface ergibt auch eine andere Surface – frei nach Frieder Nake.
Oder auch Walter Benjamin zur Reproduzierbarkeit…
All das finde ich gerade spannend in Zeiten zu denen über Museum 4.0 und openGLAM nachgedacht wird.