Es ist der 21. Dezember 2018 und die letzte Schicht für den Steinkohletagebau in Deutschland ist angebrochen. Die letzte Zeche schließt. Mit einer letzten, feierlichen Grubenfahrt in der Bottroper Zeche Prosper-Haniel endet die rund 200-jährige industrielle Ära, die das Ruhrgebiet zu dem gemacht hat, was es ist.
Dem Bundespräsidenten Frank-Walter Steinmeier wird das letzte Stück Steinkohle übergeben. Was bleibt, ist eine von Kohle geprägte Region, die sicherlich noch eine Weile mit den Folgen zu kämpfen haben wird. Nicht nur, bis der letzte Kumpel weg vom Fenster ist.
Seit etwa 50 Jahren verabschiedet sich der Pott langsam von seinem Image als Kohlepott. Stahlwerke und Zechen schlossen nach und nach. Ein langsames, unaufhaltsames Sterben einer Industrielandschaft, die wie keine zweite Region für die Industrialisierung Deutschlands steht. Jetzt wird endgültig der Deckel auf’n Pütt gemacht. Stahl, Kohle, Bier – das kam von hier.
Jetzt kann sich die ganze Region neu erfinden – und an vielen Ecken tut sie das bereits, seit spätestens klar war, dass 2010 Essen stellvertretend für das Ruhrgebiet zur Kulturhauptstadt Europas werden würde. Dreckige Luft gibt es höchstens von alten Dieseln und Kultur entstand von hoch auf den Halden bis hinein in alte Gasometer. Zeit für Ruhrpottromantik.
Prosper-Haniel – meine Grubenfahrt zur Extraschicht
Zur Extraschicht am 30.06.2018 hatte ich die Gelegenheit, auch ein Teil dieser Geschichte zu sein und eine Grubenfahrt in die Zeche Prosper-Haniel zu unternehmen. Eine letzte Gelegenheit, an einen der tiefsten Punkte Deutschlands einzufahren und zu sehen, wie die Bergmänner unter Tage arbeiten. In der letzten noch arbeitenden Zeche des Ruhrgebiets einfahren – von ehemals über 300.
So wurde es zumindest einem Teil der Blogger, die im Rahmen der Extraschicht an einer Grubenfahrt teilgenommen haben, suggeriert. Leider gab es wenig Informationen vorab zur Grubenfahrt, außer dass es im Rahmen der Extraschicht von einem der Veranstaltungsorte (ehemalige Zeche Lohberg, Dinslaken) in die Zeche Prosper-Haniel gehen sollte. Ich war eher auf eine Grubenfahrt, wie es Thomas (Breitengrad66.de) aus seinem Zechenbesuch in Ibbenbüren beschrieb, vorbereitet.
Enttäuschung zu Beginn
Doch es wurde eine kleine Enttäuschung. Insgesamt rund 900 „Gewinner“ durften zur Extraschicht einfahren und wurden durch den Schacht 10 von Prosper-Haniel geschleust. Es blieb also kaum Zeit für einen wirklichen Besuch. All die Vorbereitung vorab – Brille statt Kontaktlinsen, Wechselkleidung usw. – war gar nicht notwendig, denn selbst mit Flip Flops durfte die Zeche besucht werden. Es gab keine Extrakleidung für die Besucher, sondern nur Schutzbrille und Helm.
Auch fuhren wir „nur“ in einen großen Versorgungsschacht hinab. Vom eigentlichen Flöz und der eigentlichen Arbeitsstätte der Bergleute waren wir weit entfernt. Alles war fast klinisch sauber. Kein Kohlestaub zu sehen. Kein Kohlestaub, der an mir als Erinnerung kleben blieb. Eine Enttäuschung.
Alles wird gut
Doch auch wie Thomas muss ich sagen, ich bin froh, dabei gewesen zu sein. Sagen zu können, ich war im Jahr der Zechenschließung einmal unter Tage. Eingefahren in die letzte Zeche des Ruhrgebiets – Prosper Haniel. Wenn auch nur kurz, so konnte ich dennoch einen Einblick in die Arbeit der Bergmänner erhaschen. Konnte mit ihnen sprechen und ihnen anhören und ansehen, wie nahe ihnen das Ende des Bergbaus geht.
Kumpels, die seit Jahrzehnten im Bergbau arbeiteten, sozusagen auf Kohle geboren. Deren Väter und Großväter schon einfuhren und die jetzt mit Ende 40, Anfang 50 das Ende einer Familiengeschichte miterleben. Das Ende einer langen Tradition. Die Prosper-Haniel zurück bauen (wohl noch rund zwei Jahre) oder in Ruhestand gehen.
Vielen Mitarbeitern, wie zum Beispiel Jörg, hört man den Wehmut in der Stimme, aber auch ein wenig den Ärger auf die Politik und den Betreiber der Zeche an. Doch seien wir mal ehrlich: Kohle ist eines der größten Umweltsünden, die wir Menschen begangen haben. Die älteren Ruhrpottbewohner erinnern sich noch, dass man weiße Wäsche nicht rausgehangen hat. Denn hinterher war sie kohlrabenschwarz.
Wehmut & Stolz
Dennoch fühle ich auch ein wenig Wehmut, dass hier eine Geschichte einer ganzen Region ein Ende nimmt. Aber auch Stolz auf all die Bergmänner, die auf über 1.200 m unter der Oberfläche bei rund 45 °C schwer schuffteten, damit andere eine warme Wohnung haben konnten. Stolz auch darauf, dass ich mit einigen von ihnen am 30. Juni 2018 im Förderkorb stehe und mit 15 m/s in absoluter Dunkelheit hinab rausche.
Rund zwei Minuten vergehen, bis ich „Licht am Ende des Tunnels sehe“, wir unten ankommen. Der Zuluftschacht ist größer als erwartet und fester Boden befindet sich unter unseren Füßen. Eine andere Gruppe kommt uns gerade entgegen, als wir ankommen. In der kurzen Zeit erfahre ich viel über das modernste Steinkohlebergwerk der Gegend und auch natürlich auch über Schacht 10, der erst 2011 eröffnet wurde. Doch als wir die Dieselkatze – eine Art Transportzug untertage – erreichen, ist es auch schon wieder Schluss und Zeit für den Rückweg.
Oben angekommen mischt sich erneut Wehmut. Denn leider durfte keine Kamera, auch keine analoge Kamera mit in den Schacht genommen werden. Zu groß seien die Gefahren – dabei hatten Thomas und ich uns vorab um eine Fotogenehmigung bemüht. Doch auch hier kam es zu Missverständnissen und so bleiben nur die Erinnerungen in meinem Kopf an diesen letzten Moment einer langjährigen Industriegeschichte. Seltsamerweise waren in den letzten Wochen und Monaten mehrere Kamera- und Fototeams im gleichen Schacht. Aber wir sind halt weder der WDR, noch Schalke TV oder der National Geographic. Wir sind nur die Blogger…
Besonders schön hat Schalke 04 (jaja, …) sich als ehemalige Zechenmanschaft vom Bergbau verabschiedet:
Extraschicht im Kreativ.Quartier Lohberg
Zurück an der ehemaligen Zeche Lohberg in Dinslaken nach knapp einer Stunde gönne ich mir aber doch wenigstens noch etwas Extraschicht-Programm. Das Gelände der 2005 stillgelegten Zeche bot an diesem Tag viel – vom Bergmannchor (MGV Concordia) bis zu Bastelaktionen in der Zechenwerkstatt des Kreativ.Quartiers. Draußen wandelten Elfen mit Blumenlampions und spielten Singer/Songwriter zwischen den Ständen eines kleines Foodmarkts.
Das eigentliche Highlight fand aber dennoch ein Stück weiter in der ehemaligen Zechensiedlung Lohberg statt. Beim Moscheefest ein paar Straßen weiter gibt es türkische Pizza und Falafel sowie gekühlte Getränke für kleines Geld.
Während langsam die Sonne unterging und das ehemalige Zechengelände und den angrenzenden Bergpark in die schönsten Farben tauchte, verabschieden wir uns von der Extraschicht 2018 und dem Bergbau. Glück auf!
Lesetipps
- Breitengrad66 – Grubenfahrt: Zu Besuch an Deutschlands tiefsten Punkten
- Fernweh und so – Die Extraschicht 2018 und der Abschied von der Kohle
- Wahlheimat.Ruhr – Die 18. Extraschicht – 300.000 Besucher machen Party im Ruhrgebiet
- Teilzeitreisender – Schicht im Schacht – Extraschicht mal anders.
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Fotos: Diese und einige weitere Fotos findest Du auch auf Flickr. Die Fotos unterliegen unserem Urheberrecht.
Fotos: Simon Bierwald & Romy Mlinzk
Bearbeitung: Romy Mlinzk
Offenlegung: Zur Extraschicht mit der Grubenfahrt wurden wir von der Ruhr Tourismus GmbH eingeladen. Alle anderen Spesen, z.B. Anfahrt wurden von uns übernommen. Meine Meinung blieb von der Einladung unbeeindruckt.
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