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Ein Besuch in den Deichtorhallen in Hamburg, im Haus der Photographie, steht zwischen Weihnachten und Neujahr schon fast traditionell bei uns auf dem Programm. Ende 2017 zog es Simon und mich daher wieder ins Museum, als wir ein paar Tage bei meinen Eltern in Hamburg verbrachten. Zu dem Zeitpunkt liefen noch bis zum 07. Januar 2018 die zwei Ausstellungen mit Werken von Magnum-Fotograf Alec Soth “Gathered Leaves” und Peter Bialobrzeski “Die zweite Heimat”.
Alec Soth “Gathered Leaves”
Der Großteil der Ausstellungsfläche im Haus der Photographie befasst sich mit den Werken des Magnum-Fotografen Alec Soth. Der 1969 geborene, amerikanische Fotograf zählt zu einem der wichtigsten Vertreter der Dokumentarfotografie. Vor allem großangelegte Fotoprojekte aus dem Mittleren Westen der USA machten ihn bekannt. “Gathered Leaves”* bot nun einen tiefen und umfangreichen Einblick in sein Schaffen. Dazu stellten die Deichtorhallen 65 Werke aus seinen vier großen Zyklen “Sleeping by the Mississippi” (2004), “Niagara” (2006), “Broken Manual” (2010) und “Songbook” (2012-14) aus.
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Doch der Einstieg beginnt mit der 1996er Serie “Looking for Love”, die quasi den Beginn seiner Karriere markiert. Die schwarz-weiß gehaltenen Fotos beleuchten das vielschichtige Thema Liebe und der Suche danach in umfangreicher Art. Liebe ist vielfältig. Liebe steckt in vielen Dingen und Taten des täglichen Lebens. 2012 erschien zur Fotoserie auch ein gleichnamiges Buch. Ein solider Einstieg in das Werk von Alec Soth.
Sleeping by the Mississippi
Doch konzeptionell spannender wird es erst in den großen Zyklen. Schon bei “Sleeping by the Mississippi” (2004) merke ich, wie strukturiert und konzeptionell seine Bilder aufeinander abgestimmt sind und das die Bezeichnung “Fotograf” zu kurz greift. Alec Soth ist Künstler, Instagramer, Selbstverleger, Blogger. Die Kamera dient der Umsetzung, Unterstützung und Visualisierung seiner Kunst.
Als Grundthema von “Sleeping by the Mississippi” dient ein Roadtrip entlang des Mississippis, der unweit von Minneapolis entspringt, dem Geburts- und Wohnort des Künstlers. Knapp 4.000 km reist er entlang des ikonischen Flusses bis zu dessen Mündung im Golf von Mexiko. Dabei trifft er auf skurrile Menschen und Orte, die er mit seiner Großbildkamera (8×10) einfängt. Träumer und Visionäre – ein ungeschönter Blick, der einen schnell in seinen Bann zieht. Dazu gesellt das sich wiederholende Motiv des Bettes – die zweite Klammer der Serie. Mal gehört es einer Dame, die sich gerne in die Welt von Prinzessinnen träumt, mal steht das Bett verloren in einem Sumpf. Hier beginnt oft das Leben und endet es auch. Dazwischen träumen wir uns darin weg oder entwickeln darin die tollsten Ideen.
Die dritte Klammer ist die Religion – immer noch ein wichtiger Anker in der Gesellschaft des Mittleren Westens. Er fotografiert Prediger, suchende Seelen und eine Dame, deren größter Schatz ein Bildnis eines Engels ist. Diese Fotoreihe bildete die Grundlage für sein erstes Buch*. Wahrscheinlich auch ein Grund, dass er im gleichen Jahr (2004) auch für die Aufnahme bei Magnum Photos nominiert wurde und 2008 (nach weiteren Büchern und Bildreihen) volles Mitglied wurde.
Niagara
Konzeptionell geht es mit der Reihe um die wohl berühmtesten Wasserfälle der Welt weiter. Die Niagarafälle, an der Grenze zwischen Kanada und den USA und unweit von Buffalo gelegen, ist oft das Klischee der romantischen Flitterwochen der Nordamerikaner. Es ist Postkartenmotiv und doch auch oft Ort tragischer Selbstmorde. Dies versucht Alec Soth in seinen Fotos zu beschreiben, z.B. in dem er die Fassaden kitschiger Hotels fotografiert. Nebenbei sammelt er Notizen und Briefe, Poesiefetzen und Herzsymbole an unerwarteten Orten – die Deichtorhallen bezeichnen es als “Zeugnisse der Leidenschaft”.
Natürlich darf da eine Aufnahme der mächtigen Niagarafälle nicht fehlen. Dem gegenüber stellt er aber auch bewusst eine zerbrechliche Frau, eine glückliche Familie und die Geheimnisse, die hinter einer geschlossenen Hotelzimmertür passieren. Auch hier entstand wieder ein beeindruckendes Buch zur Fotoserie*.
Broken Manual
Härter und düsterer geht es bei Broken Manual zu. Hier konnte ich eine Stunde in einen Dokumentationsfilm eintauchen und in den hier erstmalig dunkel gehaltenen Wänden des Hauses der Photographie in die Abgründe der sog. “Prepper” eintauchen. Hier sieht man die Akribie des Künstlers Alec Soth. Jahrelang beschäftigte er sich mit der Parallelwelt der Menschen, die sich bewusst aus der Gesellschaft herausnehmen und als Überlebensexperten fernab der Zivilisation zumeist in der Wildnis leben. Dazu veröffentlichte er auch diverse Bücher und Schriften in seinem eigens gegründeten Verlag “Little Brown Mushroom”.
Die Einzelgänger, meist Männer, sind in diesen Werken manchmal nur schemenhaft und weit herangezoomt, im Wald zu sehen. Irgendwie aber immer klein in ihrer Umgebung und es entsteht nicht ungewollt das Gefühl der (voyeuristischen) Beobachtung und Überwachung. Bei der Bildbeschreibung hat der Künstler sich soweit in diese Welt hinein versetzt, dass er seine Bildbeschreibungen mit einem für viele Eremiten typischen privaten Code versieht.
Songbook
Mit “Songbook” taucht Alec Soth 2012 wieder in die “reale” Welt ein*. Nach der Einsamkeit sucht er in seinen Fotos nun wieder soziale Kontakte. Dabei hilft ihm die Kamera. Gemeinsam mit dem Schriftsteller Brad Zellar zog er in durch die USA. Auf den Roadtrips arbeiteten sie dabei für eine fiktive Zeitung und suchten somit die alltäglichen Geschichten. Die Zeitung gaben sie dann auch im Selbstverlag als Depesche über den jeweiligen Bundesstaat heraus. So entstanden Lokalausgaben für Kalifornien, Colorado, Michigan, New York, Ohio, Texas und Georgia.
Später wurde auch dieses Projekt zu einem Buchprojekt. Ergänzt um Lyrikfetzen aus dem Great American Songbook und befreit von Brad Zellars Texten entstand eine Chronik des Amerikas im 21. Jahrhundert, dem digitalen Zeitalter. Aber Dank der schwarz-weiß gehaltenen Bilder im Stile der Zeitungen des 20. Jahrhunderts. “Nostalgisch, jedoch gleichzeitig mit einer beklommenen, einsamen Komponente”, wie Alec Soth dazu meint. Denn noch nie waren wir Dank digitaler Technik so miteinander verbunden und doch so stark voneinander getrennt.
Fazit
Alec Soth bietet einen interessanten und spannenden Einblick in die nicht so schillernden Gegenden und Typen seines Heimatlandes USA. Dokumentarisch und konzeptionell auf einem sehr hohen Niveau. Darum werde ich den – mir bis dato unbekannten – Magnum-Fotografen jetzt auf meinem Zettel haben und auf seinem weiteren Schaffen beobachtend begleiten.
Peter Bialobzreski “Die zweite Heimat”
Auch Peter Bialobzreski war mir bis zur Ausstellung im Haus der Photographie in den Hamburger Deichtorhallen fremd. Doch der deutsche Fotograf aus Hamburg ist kein Unbekannter, wenn man sich einmal mehr mit der deutschen Fotografie-Szene beschäftigt. Denn seit 2002 ist er Professor für Fotografie an der Hochschule für Künste in Bremen und seit 2013 Mitglied der Freien Akademie der Künste in Hamburg. Außerdem gewann er 2003 und 2010 den World Press Award. Auch seine Fotoprojekte in Buchform wurden mehrfach ausgezeichnet.
In Hamburg präsentierte er seine neue Werkserie “Die zweite Heimat”, die Fortsetzung seines 2005er Projekts “Heimat”. Dafür reiste er zwischen 2011 und 2016 durch Deutschland. Dabei war er eher an “Unorten” unterwegs, abseits der großen, schillernden Sehenswürdigkeiten, die Deutschland zu bieten hat. Stattdessen standen Oberhausen, Hagen, Haßloch, Meißen, Eisenhüttenstadt und viele andere Orte auf dem Programm. Insgesamt präsentierten die Deichtorhallen 40 großformatige Farbfotos plus einem Prolog mit älteren Werken von 1983 bis 2005 inkl. einigen Fotos aus “Heimat”.
Im ersten Moment wirken diese Werke erstaunlich langweilig. Eben weil sie das alltägliche, unglamouröse Leben in Deutschland dokumentieren. Doch beim genauen Hinsehen – und dieses Zeit nahmen sich viele Besucher an diesem Tag in Hamburg – entdeckt man den feinen Blick von Peter Bialobzreski für die kleinen Geschichten. Jedes Bild erzählt in mehreren Ebenen so viel. Wo andere eine Mülltüte im Vordergrund vielleicht weg retuschieren würden, gibt sie seinem Bild gerade einen Sinn. So zogen mich diese Bilder, die oft auch knallig bunt, pastellig überbordend daher kommen, schnell in ihren Bann. Selten habe ich in den Zeiten von Instagram-Hochglanz Deutschland so schnörkellos und unprätentiös gesehen. Davon wünsche ich mir mehr.
Heimat also. Was ist das? Und wo? Darüber wird in Deutschland mal horizonterweiternd und mal hässlich gestritten. Gerade im Globalisierungszeitalter dient das Wort einigen zur Selbstfindung und anderen zur Abgrenzung. Mit dem Begriff Heimat wird Politik gemacht, Auflage generiert, Geld verdient, meist irgendetwas oder irgendjemand überhöht oder niedergemacht. Fast immer, wenn über Heimat gestritten wird, geht es um die Streitenden selbst, um ihren Blick auf die Welt und auf andere — nicht aber um das Objekt Heimat an sich.
Schreibt Buchautor Henning Sußbach im Begleitbuch zur Fotoserie*, welches im Hartmann Books Verlag erschien. Heimat heißt halt auch mal eine Tankstelle, der chinesische Imbiss daneben und die Straßenlaterne auf der gegenüberliegenden Straßenseite. Manchmal mehr, oftmals aber auch nicht.
Die Ausstellung “Gathered Leaves” von Alec Soth war eine Kooperation mit Magnum Photos. Sie stellte die einzige deutsche Station einer internationalen Ausstellungstournee dar.
Die Ausstellung von “Die zweite Heimat” erfolgte als Teil der losen Ausstellungsreihe “Hamburger Helden”, die sich mit herausragenden Positionen von Fotografinnen und Fotografen beschäftigt, die in Hamburg arbeiten bzw. von hier aus agieren.
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Fotos: Simon Bierwald, indeed photography sowie Romy Mlinzk – alle Fotos unterliegen dem Urheberrecht, meine Fotos sind auch auf Flickr zu finden
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