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Mitte des letzten Jahres habe ich in der Oper Dortmund “Faust” von Charles Gounod gehört. Als sich dann im Rahmen meiner Reise nach Stuttgart die Gelegenheit bot, das Stück in Stuttgart nochmal zu sehen, war mir klar, dass ich das vergleichen möchte (die Oper Stuttgart ist übrigens Oper des Jahres – und das mit Recht!).
Eine Oper, zwei Gesichter
Was mir dabei nicht klar war ist, wie schwierig das sein würde. Außer der Musik erkannte ich quasi nichts wieder. Die Inszenierungen sind so unterschiedlich wie Tag und Nacht, die Ansätze komplett anders gewählt. Sogar die Gewichtung der Hauptfiguren ist anders.
Die Handlung
Aber zunächst etwas zu dieser Oper im Allgemeinen. Mitte des 19. Jahrhunderts war man in Frankreich fasziniert von der Faust-Legende. Es entstanden Komödien, Theaterstücke und eben auch diese Oper auf der Basis von Goethes Faust. Charles Gounod konzentrierte sich aber – anders als Goethe – sehr auf die Liebesgeschichte zwischen Faust und Gretchen. Faust ist hier ein alter Mann auf der Suche nach Liebe, kein Wissenschaftler. Gretchen ist nicht nur Unschuld. Sie ist auch mit Schmuck und Luxus zu beeinflussen. Hier wird eine Liebesgeschichte zur großen Choroper. Das war den Deutschen so suspekt, dass diese Oper lange Zeit in Deutschland nur unter dem Namen “Margarethe” aufgeführt wurde.
Die Stuttgarter “Faust”-Inszenierung von Frank Castorf
Das Bühnenbild von A. Denic macht auf den ersten Blick klar: es gibt zwei, drei oder sogar noch mehr Zeitebenen. Zu sehen ist Paris zur Entstehungszeit des Stücks, also 1859 und zu Beginn des Französischen Algerienkrieges 1960. Verschachtelt sind die Métro-Station Stalingrad und das “Café Or Noir” – eine Dachterrasse, die später Flüchtlingslager wird.
Alles hängt immer mit allem zusammen. Auch die beiden Stoffbahnen als Projektionsfläche waren in einem fort mit Reminiszenzen und Live-Nahaufnahmen bespielt. Es gibt den Deutsch-Französischen Krieg genauso wie die scheinbar heile Werbewelt der späten Fünfziger.
Faust ist vormals Gelehrter, jetzt Clochard mit wehen Füßen, grauem Haar und verbrauchtem Gesicht. Nichts (“Rien”) ist das erste Wort, dass er singt und so scheint er auch.
Dann beginnt Mephisto sein Spiel. Er präpariert in seinem Pentagramladen, in Nadelstreifen (ohne Hemd) gekleidet, neben einer in der Live-Projektion immer groß zu sehenden, grün angestrahlten Schlange, eine Voodoo-Puppe. Es ist angerichtet.
Faust verjüngt sich, nachdem Mephisto ihn den Schwur mit kurzen Biss in den Oberarm abgenommen hat. Noch während sich dieser das Blut von den Fingern leckt, erscheint Margarethe. Dieses Gretchen ist aber nicht ganz so unschuldig. Sie ist ein promiskuitives, modernes Girl und gibt sich Faust auch erst hin, als dieser sie mit Klunkern behängt und sie schon ein paar Züge aus der Opiumpfeife genommen hat.
Von Anfang bis Ende steht die Bühne unter Starkstrom. Die Bilder scheinen sich zu überbieten. Auch die Stimmen scheinen sich zu beflügeln. Der Chor ist großartig, der Faust ist mit Atalla Ayan hervorragend besetzt. Die absolute Hauptfigur ist aber Adam Palka als Mephisto.
https://www.youtube.com/watch?v=eZIz81Wzmog
Opernhaus Dortmund – same, same, but different
So ganz anders ist dies alles im Opernhaus des Theaters Dortmund.
Die hier alles überragende Figur ist die Margarete, die getrieben und absolut verzweifelt ist. Dies wird von Eleonore Marguerre auch wunderbar gesungen. Die Dortmunder Symphoniker und auch der Chor geben hier grossartige Leistungen ab. Die Inszenierung von John Fulljames wirft für mich aber viele Fragen auf.
Faust ist ein alter Mann und sieht in seinen letzten Stunden sein Leben an ihm vorüberziehen. Margarethe ist also Vergangenheit. Die Rolle des Mephisto wird mir so gar nicht klar. Mephisto kommt zunächst als Krankenschwester, er schenkt Faust aber nicht die Jugend, sondern zeigt ihm seine Vergangenheit. In dieser Vergangenheit ist er zwar zugegen, manipuliert und eskaliert, aber wo ist der Pakt? Ohne diesen Schwur ist der Teufel funktionslos oder soll es der Teufel in Faust selber sein?
Das Bühnenbild wird als etwas schäbiger Betonraum entworfen. Man gelangt durch Rohre hinein und durch Rohre heraus. In der Decke ist ein großes Loch, durch das ein gewaltiger Baum – kopfüber – herabgelassen wird. Die Natur steht Kopf.
Margarethe ist zunächst in ihrem Kostüm alles andere als attraktiv, so dass sie nicht nur Schmuck, sondern auch gleich ein neues Kleid und hochhackige Schuhe zum Geschenk erhält. Hier spielt Eleonore Marguerre in der Juwelenarie Margarethes erwachende Eitelkeit. Sie spielt und singt den Leichtsinn der Figur genauso gut wie die dann einsetzende Tragik, die in einer Szene im Kerker gipfelt, wenn sie sich dem Teufel und auch Faust trotzig widersetzt.
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Fazit
Wie schon gesagt, musikalisch sind beide Aufführungen sehr sehr hörenswert und wunderschön unterschiedlich.
Die Inszenierungen könnten unterschiedlicher nicht sein – am Besten ihr geht selbst und macht euch ein Bild.
Details
Faust (Margarethe) Oper in fünf Akten
- Libretto: Jules Barbier und Michael Carré nach Johan Wolfgang von Goethe
- Musik: Charles Gounod
- Premiere in Opernhaus Dortmund: 17. September 2016
- Premiere in der Oper Stuttgart: 30. Oktober 2016
Lesetipps
- Castorf inszeniert Faust. Ein Opernabend in Stuttgart – Kulturtussi
- Voodoo-Zauber und Reality TV: Frank Castorfs „Faust“ in der Oper Stuttgart – MusErMeKu
- A perfect night in Stuttgart (englisch) – museumlifestyle
Der Beitrag entstand im Rahmen der Bloggerreise #kulturherbststuttgart, die von der Stuttgart Marketing GmbH und ausgewählten Partnern initiiert und finanziert wurde. Meine Meinung bleibt davon unbeeindruckt.
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