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Die Konzerte der Dortmunder Philharmoniker stehen 2018/19 unter dem Motto Krieg und Frieden. Mir kommt es allerdings eher wie Tod und Trauer vor. Das soll nicht heißen, dass es mir zu melancholisch ist. Das ist es auch, aber in einem sehr positiven Sinn. Es ist viel mehr so, das die einzelnen Abende überschrieben sind mit “Letzte Dinge”, “Langsamer Abschied” und “Trauer und Hoffnung”. Dies hat viel mit Krieg (weniger mit Frieden), aber eben auch mit Tod und Trauer zu tun.
Letzte Dinge – unvollendete Werke
Im 3. Philharmonischen Konzert Letzte Dinge spielten die Dortmunder Philharmoniker Stücke, die jeweils die letzten, unvollendeten Werke der Komponisten Bruckner, Bartók und Haas sind.
Bruckners 9. Sinfonie
Zum Beispiel Anton Bruckners 9. Sinfonie, die nur aus drei vollständigen Sätze besteht. Der vierte blieb jedoch unvollendet. Im Gegensatz zu den anderen Werken Bruckners finde ich diese drei Sätze wunderbar. All das, was Bruckner für mich sonst ausmacht, das etwas Gestelzte, Angeberische, das findet sich hier nicht. Vielleicht eine Folge der Tatsache, dass er hier nicht dazu kommt, sein Werk jahrelang zu überarbeiten. Ich empfinde es mit all seinen Verweisen auf andere Werke irgendwie ehrlicher, als ich Bruckner sonst verspüre.
Der erste Satz, der auf einem einzelnen Ton beginnt und der daraus entstehenden ganzen musikalischen Welt, erinnerte mich sehr an Beethovens 9. Sinfonie, bei Bruckner aber ins Epische gesteigert. Es werden drei Themen vorgestellt, die Bruckner immer wieder neu kombiniert und so den Mittelteil vorbereitet.
Der zweite Satz enthält wahnsinnige Gegensätze. Hier kommt es zu wahren Entladungen und dann wieder friedliche Ländler, die an Franz Schubert erinnern. Erstaunlich modern hingegen wirkt der dritte Satz. Am Anfang klingt er fast wie bei Schönberg, wird aber immer wieder durchzogen vom „Dresdner Amen“, welches Wagner gerne sehr exzessiv nutzte (u.a. im Parsifal). Kurz vor Schluss zitiert Bruckner sich selbst mit Themen aus seiner siebten und achten Sinfonie.
Bartóks 3. Klavierkonzert
Béla Bartók verließ schweren Herzens seine ungarische Heimat, als Österreich den Anschluss ans deutsche Reich vollzog und emigriert 1940 nach Amerika. Er hatte kaum Engagements, war finanziell am Ende und fand sich in New York schlecht ein. Zusätzlich wird er krank. Diagnose: Leukämie.
Nachdem er 1943 eine Konzert für Orchester als Auftragsarbeit schrieb, änderte sich seine Situation. Das Konzert löste einen kleinen Bartók-Boom aus. Finanziell und auch gesundheitlich wurde es besser. Im Wissen, dass er sterben wird, schrieb er das 3. Klavierkonzert für seine Frau, die Pianistin Ditta Pásztory-Bartók. Nach der Vollendung des Klavierparts starb er. Die letzten 17 Takte für Orchester sowie Tempoangaben und viele Spielanweisungen fügte der ungarische Komponist Tibor Serly hinzu, der u.a. bei Béla Bartók an der Musikakademie Budapest studierte.
Beim 3. Klavierkonzert handelt es sich um ein warmes, gefühlvolles Stück mit euphorischen Elementen und eine für den bekennenden Atheisten Bartók ungewöhnliche Hommage an Beethovens Heilige Dankgesang eines Genesenden an die Gottheit.
Haas’ Scherzo Triste
Das dritte Werk an diesem Abend, welches die Dortmunder Philharmoniker unter dem Motto “Letzte Dinge” spielen, ist das Scherzo Triste on Pawel Haas. Haas wurde 1899 in tschechischen Brno (Brünn) geboren. Ebenso wie Bartók verliert er durch die Nazis seine Heimat und schliesslich auch sein Leben. Er war der erste Absolvent der Konservatoriumsklasse in Brno und schrieb 1921 dieses Scherzo. Eigentlich ist ein Scherzo ein lustiger Tanz, doch dieser ist immer wieder von Trauer und Melancholie durchzogen.
Anders als Bartók konnte Haas nicht emigrieren. Seine Visa-Anträge für den Iran, die USA, Grossbritannien und die Sowjetunion wurden abgelehnt. Als Jude wurde er 1941 von den Nazis nach Theresienstadt deportiert. Dort komponierte er für das von ihm gegründete Streichorchester eine Studie für Streichorchester, deren Uraufführung im Nazi-Propagandafilm „Theresienstadt. Ein Dokumentarfilm aus dem jüdischen Siedlungsgebiet“ ausgeschlachtet wurde. Wenige Wochen nach Erscheinen des Films, wurde Haas im Oktober 1944 nach Auschwitz deportiert und ermordet.
Letzte Dinge – Violinen der Hoffnung
In diesem Konzert kamen auch die „Violinen der Hoffnung“ zum Einsatz, ein Projekt von Ammon Weinstein. Alles begann damit, dass der Geigenbauer bei einer Restaurierung 1980 in einer Geige Asche findet. Es stellte sich heraus, dass der vormalige Besitzer dieser Geige in Auschwitz interniert war und im KZ in einem der Männerorchester spielte.
Susanne Schmidt spielte bei “Letzte Dinge” die erste Geige der Sammlung, die sog. Wagner-Geige. Das Instrument wurde von Benedict Wagner 1775 in Ellwangen gebaut.
Es ist sehr berührend, auf einem dieser Instrumente zu spielen. Wahrscheinlich fragt sich jeder Musiker, was sein eigenes Instrument schon gesehen hat. Bei vielen ist die Geschichte nicht ganz klar, bei berühmten Instrumenten ist sie hingegen oft über Jahrhunderte dokumentiert. Die Geigen der Sammlung Weinstein bzw. die Violinen der Hoffnung sind richtige Zeitzeugen.
Das Instrument, auf dem ich spielen durfte, hatte schon viele hundert Jahre davor erlebt und war klanglich so schön, dass das Glück über den Ton größer war als die Betroffenheit. Und so habe ich das Projekt auch verstanden: erinnern, mahnen, aber auch Hoffnung geben, dass die Musik und die damit verbundenen positiven Gefühle stärker sind als der Hass. Ich habe ungeheure Dankbarkeit und Demut empfunden, als ich auf der Wagner-Geige spielen durfte.
Die Sammlung umfasst mittlerweile mehr als 70 Geigen, deren Besitzer während der Shoah ermordet wurden. Vier dieser Geigen wurden während des dritten Philharmonischen Konzerts gespielt. Weitere Violinen wurden im Konzerthaus ausgestellt.
Fotos, wenn nicht anders angegeben: Andrea Keßler
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