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2019 feiert Deutschland und die Welt 100 Jahre Bauhaus. Was 1919 in Weimar begann, revolutionierte viele Bereiche. Vor allem Architektur und Design profitierten von den Ideen des Bauhauses. Doch auch Tanz, Theater und Fotografie und viele andere Bereiche wurden nachhaltig von den Ideen beeinflusst und als autonome Kunst betrachtet. Das NRW-Forum in Düsseldorf zeigt noch bis zum 10. März 2019 die Ausstellung “Bauhaus und die Fotografie – Zum Neuen Sehen in der Gegenwartskunst”, dass Neues Sehen in den Dialog mit zeitgenössischen Künstlern bringt.
Kuratorenführung durch das NRW-Forum
Am ersten Samstag im Februar starte ich zeitig in Richtung Düsseldorf. Eine Kuratorenführung zur Ausstellung stand auf dem Programm und nur der frühe Vogel fing den Wurm. Der Andrang war groß. Von vornherein klar: Nicht alle werden es schaffen, eines der begehrten Bändchen für die Führung von Christoph Schaden zu ergattern. Bereits vor 11 Uhr sind alle Tickets für die um 12 Uhr stattfindende, einstündige Führung vergeben. Ich hatte Glück. Mit dem Hinweis Presse hatte ich mich vorab angemeldet und wurde nicht enttäuscht.
Prof. Dr. Christoph Schaden von der Technischen Hochschule Nürnberg Georg-Simon-Ohm, Professor für Bildwissenschaft und einer der drei Kuratoren der Ausstellung, begrüsst die wartende Menge mit lauter Stimme. Direkt, unverblümt und mit viel Wissen und einer Intensität, die seines Gleichen sucht, begleitet er durch “Bauhaus und die Fotografie” im NRW-Forum.
Doch sind wir im Bauhausjahr 2019 nicht medial überversorgt? Über 300 Veranstaltungen sind in Deutschland geplant. Lonely Planet setzte Deutschland aufgrund des Jubiläums in die TOP10-Länder seiner “Best in Travel 2019”-Reihe. Ich selbst plane eine ausgiebige Reihe über das Bauhaus und diverse Veranstaltungen. Dieser Beitrag zur Ausstellung in Düsseldorf markiert nur den Auftakt, weil dieses Blog natürlich auch nur mit fotografischem Kontext seine Wirkung entfaltet.
Bauhaus und die Fotografie – eine Auseinandersetzung
Fotografie – auch bald 200 Jahre alt – fasziniert immer wieder aufs Neue. Noch nie war es so einfach, Fotos zu produzieren und zu verbreiten. Welche Innovationen oder Perspektiven können sich also noch lohnen, um Bauhaus und die Fotografie in einem neuen Licht erscheinen zu lassen? Nur einfach Revue passieren lassen, war den Kuratoren und dem NRW-Forum zu einfach. Sie entschieden sich bewusst dagegen.
Prof. Dr. Kris Scholz, Fotograf, Professor für Photographie an der Hochschule Darmstadt und ehemaliger Schüler von Bernd und Hilla Becher an der Kunstakademie in Düsseldorf, gilt als Initiator der Ausstellung. Er holte Christoph Schaden und Prof. Dr. Kai-Uwe Hemken, Kunsthochschule Kassel, ins Boot. Gemeinsam transportierten sie die Bauhausfotografie in die Gegenwart und fanden Künstler, die bewusst oder unbewusst von den Ideen des Bauhausfotografen László Moholy-Nagy, seiner Frau Lucia Moholy und deren Schülern beeinflusst wurden.
Film und Foto (1929)
Einen Einstieg in die Materie ermöglicht Kai-Uwe Hemken mit der virtuellen Version der “Film und Foto” (FiFo), der berühmten Werkbundausstellung, die 1929 in Stuttgart stattfand. Hemken, der bereits die erste Documenta in Kassel virtuell begehbar umsetzte, zeigt den von Moholy-Nagy konzipierten Ausstellungssaal, der Geschichte und Gegenwart der Fotografie beleuchtet. Dies ist für mich der Dreh- und Angelpunkt der Ausstellung. Darauf bezieht sich alles andere Gezeigte.
Von den Exponaten existierten aber nur noch vier, auf deren Grundlage er die Ausstellung zu virtuellem Leben erwachen ließ. Vom Raum selbst existierten keine exakten Pläne mehr. Anhand von Fotos, Bildbänden und anderen Dokumenten wie Polizeifotografien konnte schließlich ein Großteil der Ausstellung rekonstruiert werden. Eine Wahnsinnsarbeit und ein Abstecher in den dunklen Raum am Ende der linken Ausstellungsfläche des NRW-Forums und eine Reise in das virtuelle 1929 lohnt! An anderer Stelle ist eine Ecke der Ausstellung originalgetreu nachgebildet – inkl. Reproduktionen von fragwürdiger Qualität.
Warum ist Moholy-Nagy so wichtig?
Er gilt heute nicht nur als Fotograf und Lehrer am Bauhaus, sondern auch als erster Medientheoretiker. Er fragte sich bereits in den 1920er Jahren, wohin die fotografische Entwicklung gehen würde. Damals kamen die ersten erschwinglichen Kleinbildkameras auf den Markt und wurden so einer breiten Masse zugänglich. Wie würde sich dadurch die Wahrnehmung verändern, fragte er sich? Eine Frage, die heute modern wie nie erscheint.
Die Fotografie hatte den Auftrag, die “Realität” abzubilden. Doch Moholy-Nagy drehte dieses Prinzip um, nutzte die Fotografie als kreatives Medium. Was ist die Realität des Bildes, sollten sich seine Schüler fragen und die Technik über die Apparatur stellen. Der Begriff des “entfesselten Blicks” und des “Neuen Sehens” wurde in dieser Zeit geprägt. Die Studenten spielten mit Papier, verschiedenen Materialien, dem Zufall und vielen anderen Dingen.
Inspiriert von Moholy-Nagy
Auch in der Gegenwart experimentieren viele Künstler und nehmen so Anleihen beim Bauhaus und der Fotografie. Am Bild von Antje Hanebeck, die überwiegend Architektur fotografiert, bleibt der Kenner unzweifelhaft hängen. Unbewusst hat sie die Perspektive von Moholy-Nagy aufgegriffen, die er für den Berliner Fernsehturm am Alexanderplatz wählte. Auch sie drehte das Motiv um einen ungewohnten Blick in die Tiefe zu erzeugen. Das grobkörnige Bild in Schwarz-Weiß ist zeitlos, fast prämodern. Es ist schwer zeitlich einzuordnen, wenn nicht die kleinen Schilder neben den Fotos wären, die uns jeglicher Illusion berauben.
Nicht weit davon entfernt sind wir mitten in der aktuellen Realität. Wolfgang Tillmanns Anti-Brexit-Plakatkampagne, die es auch kostenlos im Download gibt, soll bewusst nicht als künstlerischer Teil seiner Arbeit angesehen werden. Hier stellt sich die Frage, ob “Neues Sehen” grundsätzlich im Kern unpolitisch ist oder ist es nicht schon politisch, weil es eben um Wahrnehmung geht?
Fast brutal hingegen interpretiert Daniel T. Braun aus Darmstadt Fotografie und setzt sein lichtempfindliches Fotopapier in Kontakt mit Pyrotechnik. Er beleuchtet Metallgegenstände in seiner Werkstatt mit einer Magnesiumfackel – back to the roots, als mit Magnesiumpulver geblitzt wurde. Dabei zerstört er mit Vorliebe sein Fotopapier, das Entziehen der Materialität eine bewusste Irritation. Selbst Prof. Dr. Schaden fehlen hier sprichwörtlich die “Schubladen”, um Brauns Schaffen in Worte zu fassen.
Auseinandersetzen nicht nur mit Bauhaus
Bei den Schweizer Künstlern Taiyo Onorato und Nico Krebs hingegen fühle ich mich an Oskar Schlemmers “Triadisches Ballett” erinnert. Mit Rotationsmaschinen haben sie ein analoges Mittel für ihre Bildgestaltung geschaffen, was schon wieder post-digital wirkt und mit seiner Farbigkeit heraus sticht.
Fotografie ist Gestaltung mit Licht. – László Moholy-Nagy
Dominique Teufen hingegen arbeitet mit Blitzen und Spiegelungen und schafft Werke, die wie architektonische Zeichnungen aussehen. An anderer Stelle schafft sie aus Papier ein Gebirge, vor dem sich ein selbstinszenierender Selfiepoint befindet, der Selfiestick hängt daneben an der Wand. Viele nutzen das Angebot, Teil der Ausstellung zu werden und ein Stück in Form eines digitalen Fotos mit nach Hause zu nehmen oder direkt in die Welt zu puschen.
“Der Fremdkörper” – oder Dinge einfach neu sehen
Wie der neobarocke Schrank, der so gar nicht in die “Bauhaus und die Fotografie”-Ausstellung passen will, laden die Kuratoren dazu ein, das Bauhaus neu zu denken und Statements zu setzen. Auch Kurator Kris Scholz hat sich mit dem Neuen Sehen auseinandergesetzt und fünf großformatige Bilder beigetragen. Atelierböden in Fabriken auf billiger Leinwand.
Direkt neben dem als “Fossil” bezeichneten Schrank, der pseudo-sakral mit beleuchteten Farb-Dias in der Ecke steht, sind sehr große Fotos mit farbigen Rechtecken zu sehen. Mein erster Reflex: Bauhausfarben. Doch wir sollten nicht jedem Reflex nachgeben, erklärt mir Prof. Dr. Schaden. Die Holländerin Vivianne Sassen arbeitet eher nach dem Konzept der frühen Fotografie und generiert mit großen Glasplatten vor Ort in der Wüste ihre farbigen Werke.
Photography is the art of fixing shadows.
Hommage an László Moholy-Nagy & das Bauhaus
Während also die linke Ausstellung sich stark mit dem Neuen Sehen auseinandersetzt und die Werke vom Bauhaus maximal inspiriert wurden, scheint die rechte Ausstellungsfläche eine reine Hommage an den berühmten Bauhausfotografen zu sein. Moholy-Nagy prägt hier stark die Gestaltung der Werke der ausgestellten Künstler.
Als das Bauhaus sich mit seinem Lehrer Moholy-Nagy 1928 überwarf und im Dritten Reich mit einem Arbeitsverbot belegt wurde, zog er erst nach London, später nach Chicago. Diese Schaffensperiode greift Doug Fogelson in seinen Werken auf. Dafür suchte er das mittlerweile verwaiste Labor in Chicago auf und nutzte vorhandene Formen, Bretter und andere Materialien und gestaltete eine klassische Hommage an die Fotogramme (1922) von Moholy-Nagy. Seine Farbfotogramme sind in der rechten Ausstellungsfläche zu sehen.
Daneben finden sich zwei Werke des Becher-Schülers Thomas Ruff aus dessen Werksserie “phg”. Bilder, die ich so von Ruff nicht kenne und die ich ihm auf Anhieb nicht zugeordnet hätte – und mir auch weitaus besser gefallen, als alles, was ich von ihm bisher kannte. Dabei sind es keine “Fotografien” im klassischen Sinn. Diese Hommage an die Fotogramme sind ausschließlich am Computer entstanden. Dabei bekam Ruff Unterstützung vom Forschungszentrum in Jülich, da die Entstehung am heimischen Rechner mehr als zwei Jahre gedauert hätte. Hier darf sich jeder ruhig die Frage stellen: Was ist hier das Fotografische? Ist nur noch unser Blick fotografisch geprägt?
Auch die Videoinstallation kann an eine Hommage an Moholy-Nagys Dokumentarfilm aus dem Londoner Zoo (1936) verstanden werden und ist laut Kurator die Reinstform des “Neuen Sehens”. Wir nehmen die Perspektive einer kleinen Maus ein, die einen Dickhäuter umkreist, der sich langsam hinlegt. Die Grenze zwischen Dressur und dem sozialen Akt des Sterbens verschwimmt.
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Moderne Auseinandersetzung vom “Nachwuchs” – studentische Arbeiten
In der ersten Etage des NRW-Forum, im sog. K-Forum, kannst Du dann noch studentische Arbeiten aus Darmstadt und Nürnberg entdecken. Sie sollten die Gegenwartsperspektive einnehmen und sich mit Moholy-Nagy auseinander setzen. Dabei hatten sie quasi eine Carte Blanche. Ein Student nutzte dies polemisch-gut aus und fragte “Wer ist Moholy-Nagy?” und widmete sich seinem Nachfolger am Bauhaus, Walter Peterhans.
Besonders faszinierten mich hier die altertümlich, fast röntgenartig anmutenden Bilder, die mit Supermagnete (Neodymmagnete) an der Wand befestigt wurden. Auch das ist ein Statement – wer braucht schon überbordende Rahmen, die nur den Blick ablenken?
Studenten von der TH Nürnberg unter Prof. Schaden hingegen gingen in die Richtung von Ruff und entwickelten neue Ästhetiken mit CGI (Computer Generated Imagery). Keines der ausgedruckten Werke sind also Fotos im herkömmlichen Sinne. Ein Blick in die Zukunft, in der unser Bildverständnis noch einmal komplett umgekrempelt werden wird. Eine wirklich faszinierende Ausstellung, die ich Dir dringend ans Herz lege.
“Bauhaus und die Fotografie – Zum Neuen Sehen in der Gegenwartskunst”
Die Ausstellung fand vom 6.12.2018 bis zum 10.03.2019 statt.
Im Anschluss wanderte die Ausstellung nach Berlin und Darmstadt.
Buchtipp*:
Das von mir bevorzugte Buch zum Bauhausjahr 2019 und zum vertiefenden Einstieg ins Thema:
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Deutschland wurde aufgrund des Bauhausjubiläums von Lonely Planet zur “Best in Travel 2019”-Country (#2) ernannt. Lass Dir das Jubiläum nicht entgehen!*
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Fotos: Simon Bierwald/INDEED Photography & Romy Mlinzk
Bildbearbeitung: Romy Mlinzk
Diese und weitere Fotos findest Du auch zum Stöbern auf Flickr. Die Fotos unterliegen dem Urheberrecht von Simon Bierwald und mir.
Als Vertreter der Presse konnte ich kostenlos die Ausstellung und Führung besuchen. Meine Meinung blieb davon unbeeindruckt.
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