Bodenplatte zum "Parcours Simenon" im regnerischen Kopfsteinpflaster eingelassen, vor "La Claque" hinter Saint-Pholien, Lüttich.

Lüttich (Liège): Auf den Spuren von Georges Simenon

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Komm mit auf Entdeckungsreise durch die charmanten Straßen von Lüttich (Liège), der Heimatstadt von Georges Simenon, dem berühmten Schöpfer von Kommissar Maigret. Anlässlich seines 120. Geburtstags erkundete ich 2023, was ihn prägte und wie seine Werke von seiner Heimatstadt inspiriert wurden. Tauche ein in seine Nachbarschaft Outremeuse und entdecke seine weniger bekannte Seite als Fotograf – dank einer exklusiven Sonderausstellung im Museum Grand Curtius (lief bis 27.08.2023).


Lüttich (französisch: Liège, niederländisch: Luik) hat mich seit meinem ersten Besuch in seinen Bann gezogen – aber auch die kulinarischen Möglichkeiten. Die charmanten Straßen und kleinen Gassen inspirierten mich nun zu meiner Entdeckungsreise zu den Wurzeln des berühmten Schriftstellers Georges Simenon, der in Lüttich geboren wurde und uns den legendären Kommissar Maigret beschert hat. Die Nähe zu Deutschland und die hervorragende Zuganbindung nach Köln machen Lüttich für mich zu einem idealen Ziel für eine Städtereise und Wochenendtrip abseits der bekannten Metropolen für Reisende aus Ruhrgebiet und Rheinland.

Wer war Georges Simenon?

Georges Simenon war ein herausragender Schriftsteller, der als einer der berühmtesten und meistgelesensten französischsprachigen Autoren gilt. Geboren am 12. Februar 1903 in Lüttich, Belgien, wurde er für sein immenses literarisches Schaffen bekannt, das mehr als 300 Romane und zahlreiche Kurzgeschichten umfasst, auch unter Pseudonym. Doch weltweiten Ruhm erlangte Simenon durch die Schöpfung einer der ikonischsten literarischen Figuren aller Zeiten: Kommissar Jules Amédée François Maigret. Ich liebe ja vor allem auch die Verfilmung mit “Mr. Bean” Rowan Atkinson als Kommissar. Schade, dass es davon nur vier Filme gibt. Aber ich schweife ab.

Georges Simenon (1965)
Foto: Wikimedia Commons/Nationaal Archief, CC0 1.0-Lizenz

Portrait von Georges Simenon aus dem Jahr 1965, linke Schulter vorne, Pfeife im rechten Mundwinkel, Hornbrille. Anzug mit Krawatte. Foto via Wikimedia Commons & Nationaal Archief, CC0 1.0-Lizenz

Kommissar Maigret wurde zu Simenons bekanntester Kreation und zählt zu den beliebtesten Ermittlern der Kriminalliteratur. Die Maigret-Romane zeichnen sich dadurch aus, den Lesenden in die tiefen Abgründe der menschlichen Psyche zu führen. Mit bedächtiger Ermittlungsarbeit und einer scharfen Beobachtungsgabe löst Maigret komplexe Fälle und entführt die Leserschaft in die dunklen Ecken von Paris, aber auch mal nach Lüttich und weiteren, fiktiven Schauplätzen.

Obwohl Georges Simenon die meisten seiner Geschichten in Frankreich ansiedelte, ist es bemerkenswert, dass er ursprünglich aus Lüttich in Belgien stammt. Diese Stadt spielte eine entscheidende Rolle in seiner Entwicklung als Schriftsteller und prägte sowohl seine Werke als auch seine künstlerische Identität. Obwohl er später in andere Länder zog und einen Großteil seines Lebens außerhalb Belgiens verbrachte, blieb die Verbundenheit zu seiner Heimatstadt für Simenon zeitlebens spürbar und beeinflusste maßgeblich sein Schaffen als einer der großen literarischen Köpfe des 20. Jahrhunderts.

Mit der App “Parcours Simenon” Georges Simenon auf eigene Faust entdecken

Anfang Mai begab mich auf eine faszinierende Zeitreise und folgte dem Rundgang “Auf den Spuren von Georges Simenon”, der mich durch Lüttich führte. Ich tauchte ein in die Straßen des Viertels Outremeuse, wo der berühmte belgische Schriftsteller seine Kindheit verbracht hat. Schritt für Schritt wurde ich zu den wichtigsten Orten aus Simenons Jugend geführt, die auch in seinen literarischen Werken eine Rolle spielen, ihn prägten und sich teils abgewandelt in seinen Romanen wiederfinden.

Karte mit der Tour "Auf den Spuren von Georges Simenon" aus der App "Parcours Simenon" - Karte von Lüttich mit den einzelnen Stationen, markiert durch Locationmarker, nummeriert.
Karte des “Parcours Simenon”

Die Tour dauert ca. 1,5-2 Stunden und wird von Hinweisschildern in der Stadt sowie von einer Art Stolpersteinen im Boden unterstützt. Außerdem existiert seit dem 11. März 2023 die neue kostenlose App “Parcours Simenon” (in vier Sprachen). Die Tour wurde im Rahmen der Veranstaltung Le Printemps Simenon überarbeitet und in diese App überführt – mit einer Vielzahl neuer Inhalte wie historischen Fotos, Audioaufnahmen von Georges Simenon und einem Augmented-Reality-Erlebnis.

Eine unvergessliche Erfahrung, die mich noch tiefer in das Leben und die Inspirationen von Georges Simenon eintauchen ließ, auch wenn es in teilweise in Strömen regnete und das etwas ungemütlich war. Doch gerade dieses Grau in Grau passte perfekt zur Stimmung eines Krimis.

Doch nun lass uns auf Tour gehen!

Start im Viertel Hors-Château

Die Tour beginnt im Tourismusbüro in der Halle aux Viandes (“Fleischhalle”), einem der ältesten zivilen Gebäude der Stadt (16. Jh.). Dort kannst Du vor Ort die App über einen QR-Code herunterladen oder vorab im Playstore bzw. im Apple Store. Außerdem bekommst Du eine kleine Broschüre sowie auch den Türcode für die letzte Station der Tour, dem neu gestalteten Raum der “Caque”. Daher solltest Du die Tour wennmöglich zu den Öffnungszeiten des Tourismusbüros beginnen.

Halle aux Viandes – Visitez Liège – Liège tourisme

Adresse: Quai de la Goffe 13, 4000 Liège, Belgien

Öffnungszeiten: täglich 9-17 Uhr

Von dort führt die Tour kurz durch das Viertel Hors-Château zum Rathaus La Violette (“Veilchen”), in dessen Nähe auch die 2004 aufgestellte Georges-Simenon-Statue von Roger Lenertz auf dem Place du Commissaire Maigret steht. Pfeiferauchend lädt er jeden ein, sich neben ihn auf die Bank zu setzen. Diesen Punkt hätte ich mir eher am Ende der Tour gewünscht.

Außerdem haben sich nicht nur Simenons Eltern – Henriette Brüll und Désiré Simenon – hier in der Umgebung kennengelernt, sie wohnten nach ihrer Heirat 1902 auch unweit in der Rue Léopold 24, in der Georges Simenon 1903 zur Welt kam. Simenon selbst heiratete im März 1923 im La Violette seine erste Frau Régine “Tigy” Renchon, einige Monate nachdem er schon in Paris lebte und für diesen Anlass noch einmal in seine belgische Heimatstadt zurückkehrte.

Hausfront des Geburtshauses von Georges Simenon, Rue Léopold 24 in Lüttich, Gründerzeithaus, 4-5-stöckig, drei Fenster breit, nach oben hin kleiner werdende Fenster.
Geburtshaus von Georges Simenon, Rue Léopold 24

Interessant ist auch die Plakette am Rathaus zu Ehren getöteter Lütticher Polizisten während des Zweiten Weltkriegs, auf dem sich ein gewisser Arnold Maigret befindet. War das vielleicht der Namensgeber für seinen berühmten Kommissar? Angeblich war ihm aber gar nicht bewusst, dass es einen Maigret in Lüttich gab.

Steintafel am Rathaus in Lüttich mit Namen von gefallenen/ermordeten Polizisten während des zweiten Weltkriegs. Oben Soldatenköpfe in Stein gemeiselt, darunter die Namen u.a. Arnold Maigret.
Steintafel am Rathaus in Lüttich mit Arnold Maigret

Über die Brücke auf die andere Seite

Weiter geht es auf den Spuren von Georges Simenon über die Brücke Pont des Arches (“Bogenbrücke”) in den Stadtteil auf der anderen Seite der Maas, Outremeuse. Dorthin zog die Familie Simenon 1905. Als er zwischen 1919 und 1922 bei der Gazette de Liége (ja, veraltet mit falschem accent aigu statt accent grave) als Journalist arbeitet, musste er regelmäßig über die Brücke und die Rue Léopold entlang, um täglich die von ihm benötigten Polizeiberichte in der Polizeizentrale zu holen. Diese befand sich zu dieser Zeit im Erdgeschoss des Rathauses.

Seitenansicht der Brücke Pont des Arches ("Bogenbrücke") über die Maas in Lüttich mit zwei der vier Brückenfiguren, die rechts und links vom BOgen stehen.
Pont des Arches (“Bogenbrücke”)

Die Brücke stellt also ab dann die räumliche Trennung zwischen Familien- und Arbeitswelt dar. Das Viertel, in dem er in bescheidenen Verhältnissen, aber nicht arm, aufwächst und die Altstadt, in der das (Nacht-)Leben tobt und die für ihn eine erste Freiheit bedeutet. Später wird ihm in seinem Freiheitsdrang Lüttich einfach zu klein und er lässt die Stadt mit 19 Jahren hinter sich.

Aber seinen ersten Roman, den er mit 17 Jahren unter dem Pseudonym Georges Sim veröffentlicht, widmet er der Brücke. Au pont des Arches (“Bei der Bogenbrücke”) erscheint 1920 und erzählt von der Pharmacie Germain an der Ecke der Rue Pied-du-Pont-des Arches, die heute nicht mehr existiert.

Auf der anderen Seite der Maas – Outremeuse

Direkt hinter der Brücke stößt Du fast unmittelbar auf die Église Saint-Pholien, die durch Simenons Buch Le Pendu de Saint-Pholien (“Maigret und der Gehängte von Saint-Pholien”)* bekannt wurde. Darin verarbeitete George Simenon seine Erinnerungen an “De Kleine”, ein junger Lütticher Künstler, der 1922 erhängt an der Kirche aufgefunden wurde. Beide verkehrten in den gleichen Kreisen der “La Caque” (Heringsfass), die auch später Thema des Rundgangs ist.

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Frontansicht des Portals der Kirche Saint-Pholien in Outremeuse, Lüttich mit spitzem Kirchturm. Davor zwei Autos und eine Kreuzung mit Fußgängerüberweg und Insel mit Fahrradständer, an dem 2 Fahrräder stehen sowie ein Motorroller.
Église Saint-Pholien – Outremeuse, Lüttich

Direkt um die Ecke der Kirche, auf dem Boulevard de la Constitution befindet sich nicht nur die schöne Eckbuchhandlung/Antiquariat, die sich nach Kommissar Maigret benannt hat und auch viele alte Ausgabe führt. Freitags findet hier der Flohmarkt Saint-Pholien statt, der ausladend auf dem breiten Boulevard die unterschiedlichsten Schnäppchen anbietet. Sicherlich auch eine Reihe Bücher des berühmtesten Sohn der Stadt.

Eckbuchhandlung "A L'Enseigne du Commissaire Maigret"- Schriftzug steht über der Buchhandlung über Eck, Tür links, zwei Schaufenster.
Eckbuchhandlung “A L’Enseigne du Commissaire Maigret”

Heimatgemeinde Saint-Nicolas

Nicht weit entfernt prägte noch eine andere Kirchengemeinde Georges Simenons Kindheit und Jugend. Die Pfarrkirche der Familie, Saint-Nicolas und die angrenzenden Straßen und Gassen, wie die Rue des Récollets, stehen deshalb als nächste Punkte auf Deiner Tour an. Du kommst dabei am Place de l’Yser (ehemals Place Ernest-de-Bavière) vorbei, der in seiner Kindheit die Trennung zwischen den beiden Kirchengemeinden darstellte, basierend auf den alten Vierteln der Gerber und der Weber von Lüttich.

In manchen Straßen gehörte die eine Häuserseite zu dieser Pfarre, die andere zu jener, der feindlichen. Ich sage bewusst “zur feindlichen Pfarre”, denn für uns Knirpse erwies sich die Grenze als ernst zu nehmende Barriere. Für einen Jungen von Saint-Nicolas war es gefährlich, sich allein nach Saint-Pholien vorzuwagen. Er musste nicht nur damit rechnen, mit Steinen beworfen zu werden. Wenn er Pech hatte, wurde er regelrecht verprügelt.

Georges Simenon, Vent du nord vent du sud, 1976
Pfarrkirche Saint-Nicolas mit schiefem Kirchturm mittig über dem Portal, von Häusern eingefasst, an einem Knick der Straße, kleines Türmchen an der Seite zu sehen.
Pfarrkirche Saint-Nicolas

In direkter Nähe steht seit 1996 in Erinnerung an den Schriftsteller die Jugendherberge Auberge Simenon, in der Du auch günstig übernachten kannst, wenn Du tiefer ins Leben von Georges Simenon in Outremeuse eintauchen möchtest – oder einfach für Lüttich ein Bett suchst.

Auch das Porjekt bancs valises (“Kofferbänke”) davor hat Bezug zum Autor und fand ich persönlich ganz spannend. Nur merkte ich hier mal wieder, dass ich dringend meine Kenntnisse der französischen Sprache aufbessern* sollte. Wozu habe ich eigentlich meine Babbel-App?

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Kunstwerk Kofferbänke (banc valises) von Nahem, eine Kofferbank mit Schriftzug Georges Simenon im Vordergrund, dahinter der große Stein in Ketten, die den Stein mit den Bänken verbindet.

Zwielichtige Gestalten

Vorbei an Saint-Nicolas verschlug es auch mich in die Rue des Récollets, in dem sich auch das Museum Grétry als Ausflugstipp abseits der Tour befindet. Der stärker werdende Regen durchweichte immer weiter meine Jacke, als wir fast alleine durch die kleine Straße laufen. Dabei lese ich in der App, dass sich ausgerechnet hier ein ehemaliger Kollege bei der Zeitung vor der Polizei versteckte. Er hatte seine wohl nicht so vielversprechende Karriere als Journalist gegen eine im horizontalen Gewerbe getauscht und einen Konkurrenten 1931 aus der Welt geschafft. Die Geschichte verarbeitete Georges Simenon im Roman Les Toris Crimes de mes amis (“Die Verbrechen meiner Freunde”)*.

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Familienbande & Orte der Kindheit von Georges Simenon

Zurück auf einer der größeren und belebteren Straßen, der Rue Puits-en-Sock, begegeben wir uns nun auf Zeitreise zurück zum nicht mehr existenten Geschäfts des Großvaters. Das Hutgeschäft von Chrétien Simenons in der Hausnummer 58 war ein wichtiger Ort für den kleinen Georges. Hier traf sich der Kern der Familie jeden Sonntag.

Ein älterer Mann, weißhaarig, mit Brille und Gehstock, lehnt an einen Hauseingang, dahinter eine Bushaltestelle in Outremeuse, Lüttich.
So stelle ich mir Georges Simenons Großvater in den Straßen von Outremeuse vor

An dieser Stelle erzählt die App das erste Mal ausführlich über die Spannungen zwischen der flämisch-stämmige Mutter Henriette und der wallonischen Simenon-Familie. Auch ihre Persönlichkeit wird nicht gerade positiv beleuchtet. Der Autor hat sich anscheinend nie mit ihr verstanden. Als sein Vater 1921 stirbt, hält ihn daher nicht mehr viel in Lüttich.

Straßenecke Rue Jean d'Outremeuse mit der ehemaligen École Notre-Dame (heute School Robert Brasseur Asbl), links im Hintergrund Kirche Saint-Nicolas, Backsteingebäude mit Heiligenfiguren/szene in der Mauer an der Ecke.
École Notre-Dame (heute School Robert Brasseur Asbl) in der Rue Jean d’Outremeuse, Lüttich

Auch die nächsten Stationen der Tour widmen sich wichtigen Orten und Lebensereignisse aus der Kindheit – wie die Vorschule (École Notre-Dame), die er besuchte zu der Zeit, als der kleine Bruder Christian geboren wird (1906) – Mutters Liebling. Ihr Verhältnis ist so schwierig, dass er ihn in seinem autobiographischen Roman Pedigree (“Stammbaum”)* nicht einmal erwähnt, der jetzt in der neuen Taschebuchausgabe (2023) vom Atlantik-Verlag/Hoffmann & Campe erhältlich ist.

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Rastlos in der Heimat – Wohnorte in Outremeuse

In die Rue de l’Enseignement macht die Tour einen kleinen Schlenker. In das Haus Nr. 29 zieht die Familie 1919. Es ist Georges Simenons letzte gemeinsame Zuhause mit seiner Familie. Er wohnt in einem kleinen Dachbodenzimmer, arbeitet bei der Zeitung und schreibt seine ersten Werke. Seine Mutter wird später das Haus Nr. 5 kaufen und sich den Traum vom Eigenheim erfüllen, in dem sie bis zu ihrem Lebensende wohnen wird.

Zuvor bewohnte die Familie in der naheliegenden Rue de la Loi das Haus Nr. 53. Direkt gegenüber besuchte Georges das Institut Saint-André, eine Grundschule. Zu der Zeit verschlechert sich das Verhältnis zur Mutter, die jetzt auch Untermieter zulässt, um die Haushaltskasse aufzubessern, während sich alle anderen unwohl damit fühlen.

Rue de la Loi, Lüttich - Straßenansicht von rechts nach links, mit Institut Saint-André, zahlreiche Autos auf der Straße davor, Bäume überragen von rechts die Straße.
Institut Saint-André in der Rue de la Loi

Direkt um die Ecke, in der ehemaligen Rue Pasteur, stolpere ich auch direkt über den nächsten Wohnort der Familie. Im heutigen Haus Nr. 25 der jetzigen Rue Simenon (seit 1978) fanden sie 1905 ihr erstes Zuhause im Stadtteil jenseits der Maas. In der ersten Etage eines noch fast neuen Gebäudes fühlen sie sich aber nicht sehr wohl. Die Familie hat eher bescheidene Geldmittel im Gegensatz zur wohlhabenderen, kleinbürgerlichen Nachbarschaft. Dennoch hat der Schriftsteller sehr positive Erinnerungen an diese frühe Zeit in seinem Leben.

Die Rue Simenon endet im Kreisverkehr des Place du Congrès, ein zentraler Platz des Viertels, den er oft überquerte, z.B. während seiner Zeit als Ministrant in der unweit davon gelegenen Chapelle de Bavière. Seit 1992 ziert ihm zu Ehren eine Büste von Ursula Förster und Angelo Monteforte die Mitte des Kreisverkehrs.

Büste von Georges Simenon in der Mitte des Kreisverkehrs am Place du Congrès, umgeben von Blumen, dahinter Straße und Häuser an den Straßenecke, links eine Bushaltestelle.
Büste von Georges Simenon auf Place du Congrès

Letzte Stationen in Lüttich – Nachtleben und La Caque

Nun geht es auch langsam wieder zurück Richtung Saint-Pholien. Dabei komme ich an der ehemaligen Kaserne vorbei, in die sich Simenon nach einem Monat Militärdienst in Aachen zurückversetzen lässt. In der Caserne des Lanciers Fonck leistet er seinen restlichen Militärdienst ab, zu dem er sich freiwillig nach dem Tod seines Vater 1921 meldete – um einer Einberufung zuvor zu kommen. Er arbeitet in den Ställen, kann Zuhause schlafen und weiter bei der Zeitung arbeiten. Doch sobald der Militärdienst vorbei ist, zieht er im Dezember 1922 nach Paris.

Eingang zur Caserne des Lanciers Fonck. Eingang umrahmt von zwei Wachtürmchen mit Einlässen für die Soldaten, die den Eingang bewachten. heute offen, rechts und links parken Autos, eine Person betritt gerade das Gelände.
Caserne des Lanciers Fonck

Dies ist aber noch nicht das Ende der Tour. Denn was wäre ein Leben als Jugendlicher und junger Mann ohne ein bisschen Nachtleben? Die letzten Stationen auf den Spuren von Georges Simenon in Lüttich behandeln seine Zeit ab 1919. Das Varieté “Der rote Esel” (L’Âne Rouge) und La Caque, eine Gruppe Lütticher Künstler:innen spielen dabei eine große Rolle.

Während meiner Erkundung der Orte hinter Saint-Pholien konnte ich auch die neu gestalteten Räume der “Caque”* besuchen. Einen staubigen Dachboden, der einst als Ort für Treffen und literarischen Austausch zwischen Studierenden und Künstler:innen diente. Hier lernte er auch seine spätere Frau Tigy kennen. Vor Ort entfaltet die App ihre volle Wirkung. Ein Augmented-Reality-Erlebnis und Texte in der App bringen mir diese aufregende und prägende Zeit im Leben von Georges Simenon näher.

*Um Einlass in den Hinterhof und den kleinen Dachboden zu erhalten, benötigst Du den Türcode, den Du am Anfang im Tourismusbüro erhalten hast.


Exkurs: Lüttich noch anders entdecken – Kulinarische Tipps für Liège


Georges Simenon, Bilder der Welt in der Krise – Fotoausstellung

Bis zum 27. August 2023 wurde außerdem im Jubiläumsjahr Fotografien von Georges Simenon im Musée Grand Curtius ausgestellt. Aufgenommen wurden die Fotos zwischen 1931 und 1935, als die Welt sich in der Abwärtsspirale Richtung Zweiten Weltkrieg bewegte. Zu dieser Zeit reiste er als Journalist und Autor um die Welt, schrieb Romane sowie Reportagen und hielt die Erlebnisse mit seinen Kameras fest.

Frontalansicht von Grand Curtius von der Straße aus. Kleines dazugehöriges Gebäide links daneben mit großem Hoftor.

Diese anfangs eher mittelformatigen Fotos sind oft von ausgesprochen hoher Qualität und geben einen guten Einblick in ein Leben abseits des Schreibtisches. Ab 1928 begann er mit seiner Frau Tigy und dem Hausmädchen Boule (Henriette Liberge) zu reisen. Zuerst schipperten sie auf der “Ginette” durch die Kanäle von Frankreich, bereisten dann zwischen 1931 und 1935 Belgisch-Kongo, Belgien, Deutschland, Osteuropa, das Mittelmeer, New York, Panama und Polynesien sowie weitere Orte, die ihn zu Artikeln sowie Romanen inspirierten. Es war eine der schaffensreichsten Perioden in seiner Zeit, auch wenn Kommissar Maigret noch nicht existierte.

Georges Simenon auf Reisen – Blickwinkel eines Schriftstellers

Die dabei entstandenen Fotos nutzte er für Artikel und schrieb eifrig parallel Romane beeinflusst von seinen Reiseerlebnissen. Dabei stellten die Fotos nie Sehenswürdigkeiten dar, sondern eher alltägliche, unscheinbare Dinge – manchmal banal, auch mal unscharf, andere sind beeindruckend gut. Die Hafenarbeiter, den Hafen und die Quais in Frankreich zum Beispiel sind Motive seiner Wahl.

Besonders beeindruckend fand ich die Aufnahmen aus Afrika, welches Georges, Tigy und Boule auf einer eher ungewöhnlichen Route erreichten und bereisten. Er besuchte dort unter anderem seinen Bruder Christian und seinen Neffen, dessen Taufpate er war. Auf dieser lange Reise entstanden zahlreiche fotografische Eindrücke auf dem Höhepunkt der Kolonialisierung. Anfangs waren seine Fotos unterkühlt. Er klassifizierte z.B. afrikanische Körper nach ihrer ethnischen Zugehörigkeit. Später änderte sich sein Blick als er auf kolonialisiert und angepasste Einheimische traf und die Ausmaße der Kolonialisierung zu erfassen begann.

Gang mit Vitrinen und Fotos von Georges Simenon links und rechts, am Ende ein großes Portrait zweier Afrikanerinnen, die auf ihrem Kopf etwas transportieren.
Blick in den Teil mit den Fotos aus Afrika

1933 bereiste er dann eher Europa und hielt dokumentarisch die Auswirkungen der großen Depression fest. Bis in die junge Türkei, Georgien und in die Ukraine ans Schwarze Meer sowie in die Sowjetunion führten seine Reisen, auf der er u.a. auch Trotzki fotografierte. Vor allem seine Bilder aus Odessa während des Holodomor erinnern mich erschreckend an die aktuelle Situation in der Ukraine.

Seine Portraits von Menschen aus aller Welt wurden meiner Meinung nach mit der Zeit auch immer besser. Spannend sind aber auch die Einblicke ins Leben an Deck, während Georges Simenon mit Frau und Hausmädchen mit dem Schiff reisten (Flugzeuge waren noch nicht stark verbreitet oder erschwinglich). Überall suchte er nach Menschen und ihren Emotionen. Daraus entwickelte er sicherlich seine Vision von der Welt und Menschheit, die in seine Romane mit einfloss.

Warum Du die Fotoausstellung mit Fotos von Georges Simenon sehen solltest

Die Ausstellung ist allein aus fotografischer Sicht sehr spannend. Die Qualität, die Motive, die Zeit, die Orte – in den 1930er Jahren war eine solche Reiserei um die Welt nicht alltäglich und oftmals sehr beschwerlich und entbehrungsreich. Die dabei entstandenen Momentaufnahmen zeigen eine Ära in der Krise, noch geprägt vom Ersten Weltkrieg, voller Angst vor dem nächsten. Ein Zeitzeugnis sondergleichen. Hinzu kommt der Einfluss auf das Werk von Georges Simenon.

Leider ist die Aussellung ausschließlich auf Französisch, das Begleitmaterial ist immerhin auf Englisch erhältlich. Mit einer Translator-App, die Texte erfassen kann, war es aber möglich, einen Großteil zu verstehen. Das sollte Dich aber nicht abhalten, die Ausstellung zu besuchen.

Das Grand Curtius beinhaltet weitere Ausstellungen. Es ist aber möglich, nur die Fotoausstellung zu besuchen. Der Eintritt beträgt dann nur 10 Euro, das Kombiticket 12 Euro für Erwachsene. Es gibt Ermäßigungen u.a. für Senioren.

Grand Curtius

Adresse: Féronstrée 136, 4000 Liège, Belgien

Website

Öffnungszeiten:
Mittwoch-Sonntag 10-18 Uhr
Montag 10-18 Uhr
Dienstag geschlossen

Lesetipp: Mit Pfeife und Leica in die Welt – taz, 15.04.2023

Georges Simenon – Vom Roman zum Comic

Zwei Monate lang gabe es vom März bis Mitte Mai 2023 noch eine Ausstellung, die sich mit Georges Simenons Werk in Form von Comics auseinander setzte. Im Fonds Patrimoniaux (Kulturerbefonds) im Behördenkomplex der Stadt Lüttich wurden Comic-Adaptionen von Simenons Romanen beauftragt und ausgestellt. Von Sohn John Simenon initiiert entstand gemeinsam mit Jean-Luc Fromental und José-Louis Bocquet außerdem ein biographischer Comic über Georges Simenon.

Die verschiedenen Stile und Interpretationsansätze der sog. “harten” Romane von Georges Simenon (Kriminalromane, aber keine Maigret- oder Groschenromane) fand ich schon sehr interessant. Doch ohne große Französischkenntnisse bin ich hier sehr aufgeschmissen gewesen. Gerne hätte ich mehr von den Comics verstanden. Doch dies war nicht die Intention der Ausstellung. Denn diese ist Teil einer Kampagne, das gemeinsame künstlerische Erbe von Lüttich und Comics hervorzuheben und einem möglichst breiten (einheimischen) Publikum zugänglich zu machen. Die Ausstellung war daher kostenlos zu besuchen.

Anreise nach Lüttich & weitere Informationen

Meine bevorzugte Anreise ab Dortmund bzw. dem Ruhrgebiet sowie dem Rheinland ist der Thalys (jetzt: Eurostar). Ab Dortmund fährt er frühmorgens meist zweimal in Richtung Paris mit Stopp in Lüttich am Bahnhof Liège-Guillemins, der übrigens noch bis 15. Oktober 2023 24. Juni 2024 (verlängert!) selbst ein Kunstwerk ist. Die farbigen Installationen stammen von Daniel Buren (“Comme tombées du ciel, les couleurs in situ et en mouvement”).

Gare Liège-Guillemins

Adresse: Place des Guillemins 2, 4000 Liège, Belgien

Wir sind mit dem etwas späteren Zug in der 1. Klasse gefahren und hatten ab Köln ein Frühstück. So konnten wir entspannt gegen 10 Uhr in den Tag vor Ort in Lüttich starten. Vom Bahnhof in die Altstadt kommt man aktuell am Besten noch mit einem der zahlreichen Busse vorm Bahnhof. Hoffentlich bald geht das aber mit der neuen Tram noch viel leichter – daher ist eine Anreise mit dem Auto aktuell nicht zu empfehlen. Die Stadt ist eine einzige Baustelle. Wenn Du etwas Zeit mitbringst, kannst Du auch mit dem Pendelschiff vom Bahnhof zur Altstadt und Outremeuse fahren.

Literatur zur Einstimmung: Maigret im Gai-Moulin*, ein Maigret-Krimi, der in Lüttich spielt.

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Es lohnt sich übrigens, ab und zu mal auf der Website oder Social-Media-Kanälen bei Eurostar vorbeizuschauen. Der Eisenbahnkonzern hat öfters lohnende Angebote.

Doch auch internationale ICEs fahren Lüttich an und mit den (Super-)Sparpreisen Europa* kannst Du auch hier ab und zu ein Schnäppchen machen. Mit dem Auto sind es rund 40 min. bis Aachen und ca. 1,5-2 Stunden aus dem Großraum Köln.

Du suchst noch einen Reiseführer?

Ich selbst habe den von Rolf Minderjahn über Lüttich* und mag diesen sehr.

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Fotos: Die Fotos unterliegen meinem Urheberrecht und dürfen nicht ohne Genehmigung verwendet werden. Diese und weitere Fotos zu Georges Simenon in Lüttich findest Du zum Stöbern auf Flickr. Nutzungsrechte sind möglich.

Offenlegung: In Lüttich bin ich auf unbezahlter Recherchereise (Pressereise) Dank Belgien-Tourismus Wallonie in Zusammenarbeit mit Thalys Deutschland Anfang Mai 2023 gewesen. Meine Meinung blieb davon unbeeindruckt.


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Romy

Romy (*1981) hat ihre Heimatbasis in der Ruhrmetropole Dortmund und arbeitet als Blogger und Freelancer im Bereich Social Media, Content Strategie und Community Management.

Sie bloggt seit 2006.
Übers Reisen regelmäßiger seit 2013. Wenn sie Zeit dazu findet.

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