Bieke Depoorter Plakat zur Ausstellung mit Agata als Motiv, direkt vor dem C/O Berlin, dem Amerikahaus, stehend.

Magnum 75 – Bieke Depoorter & Susan Meiselas, C/O Berlin

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Die legendäre Fotoagentur Magnum feiert dieses Jahr ihr 75. Jubiläum. Das C/O Berlin hat aus diesem Anlass zwei Fotografinnen Einzelausstellungen gewidmet – der legendären Susan Meiselas, die mit dem “Molotov Man” aus Nicaragua weltberühmt wurde, sowie Bieke Depoorter, die eher der jüngeren Nachwuchsvertreter:innen der Fotoagentur zuzuordnen ist.

Die Ausstellungen “Susan Meiselas – Mediations” und “Bieke Depoorter – A Chance Encounter” sind noch bis zum 07. September 2022 im C/O Berlin am Bahnhof Zoo zu sehen, das wohl ohne Magnum auch gar nicht existieren würde. Doch das ist eine andere Geschichte.

Die Fotoagentur Magnum ist eine der berühmtesten und exklusivsten Fotoagenturen, bei der man als Fotograf:in Mitglied sein kann. Namen wie Henri Cartier-Bresson, Dennis Stock, Eve Arnold, Robert Capa und viele weitere Namen lösen bei mir direkt einen Flashback zurück in die Anfänge der Kriegsfotografie, aber auch Erinnerungen an die goldenen Jahre Hollywoods aus. Vor allem Eve Arnold mit ihren legendären Fotos*(Werbelink amazon.de) von Marilyn Monroe am Set ihres letzten Films “Misfits” habe ich direkt vor Augen, wenn ich den Namen Magnum höre.

Susan Meiselas – Mediations

Eine der berühmtesten, aktuell lebenden Vertreter:innen der Fotografenagentur ist Susan Meiselas. Der mittlerweile über 70-jährigen Amerikanerin widmet das C/O Berlin mit “Mediations” ihre größte jemals in Deutschland gezeigte Retrospektive, bei der auf ihr Schaffen aus über 50 Jahren zurückgeblickt wird.

Susan Meiselas - Mediations, Ausstellungsmotiv mit Schriftzug darauf, C/O Berlin.

Molotov Man

Ganz klar kommt keiner dabei an dem Bild vorbei, welches Susan Meiselas berühmt gemacht hat. Wütend, das Gesicht verzerrt, bereit zum Wurf des angezündeten Molotow-Cocktails in seiner rechten Hand, die Zerstörung beim Gegenüber suchend, dazu ein Gewehr in der anderen Hand – das ist “Molotov Man”, den Susan 1979 in Nicaragua*(Werbelink amazon.de) aufnahm.

Susan Meiselas im C/O Berlin vor ihrem Bild des Molotov Man.
Susan Meiselas im C/O Berlin vor ihrem Bild des Molotov Man

Ein Guerillakämpfer, der seit über 40 Jahre als Symbolbild gegen Unterdrückung und für Revolution wurde und damit auch Eingang in die Popkultur fand. Beispielhaft sind in der Ausstellung dazu auch Shirts, Poster und andere Beispiele der Kommerzialisierung dieses Bildnisses ausgestellt.

Die Kamera ist nur ein Vorwand, irgendwo zu sein, wo man sonst nicht dazugehört. Dadurch entsteht für mich ein Berührungspunkt sowie auch ein Trennungspunkt.

Susan Meiselas

Konzeptarbeiten von Anfang an

Neben den Fotos aus Nicaragua und denen aus vielen weiteren Kriegsgebieten widmet sich die Retrospektive im C/O Berlin auch ausführlich dem Frühwerk von Susan Meiselas, beginnend Anfang der 1970er Jahre. Frühe Portraits aus ihrer damaligen direkten Umgebung in ihrem Wohnheim, aber auch Serien mit intimen Aufnahmen von Stripperinnen sind zu sehen. Die langfristigen Serien und ihre Herangehensweise sind faszinierend. Es verdeutlicht, wie ganzheitlich Susan an ihre Themen herangeht.

Notizhefte, Briefe, Kassetten zu Prince Street Girls und anderen Konzeptarbeiten von Susan Meiselas im C/O Berlin.

So finden sich Interviews und Briefe zu ihren Motiven, manchmal auch Kassetten mit Tonaufnahmen und Musik sowie Devotionalien, die sie mit den entsprechenden Protagonisten in Verbindung bringt. Es ist wie eine Art Genealogie – Konzeptarbeiten, die auch bei Magnum so bis dato unbekannt waren.

Vor allem die erste Serien 44 Irving Street (1971), Carnival Strippers*(Werbelink amazon.de) (1972-1975) und Porch Portraits (1974) sind spannend. Etwa fünfzig Jahre sind vergangen, seit sie die unterschiedlichen Lebensrealitäten in den USA abbildete und doch wirkt manches aktueller als jemals zuvor. Sie veranschaulicht dabei das Fortbestehen von ungleichen Lebensverhältnissen, die auch heute wieder stark sichtbar werden.

Susan Meiselas vor Bildern aus ihrem Frühwerk im C/O Berlin.
Susan Meiselas vor ihren Bildern.

Ein Bogen spannt sich für mich auch von Prince Street Girls (1975-1992), bei der sie eine Gruppe von Mädchen aus New York mit der Kamera beim Heranwachsen begleitet, zu den Serien Archives of Abuse (1991-1992) und A Room of Their Own (2015-2017) aufgenommen in San Francisco ganz am Ende der Ausstellung. Frauen am Anfang ihrer Entwicklung und die Momente, wo sie am Verletzlichsten sind, missbraucht, geschlagen, verletzt im eigenen Zuhause. Ostküste und Westküste. Irgendwie ein wenig Yin und Yang.

Eine Frau steht vor drei Bildern aus Archives of Abuse, Susan Meiselas.
Bilder aus Archives of Abuse

Langzeitstudien bei kriegerischen Auseinandersetzungen

In diesen Langzeitstudien wirft Susan Meiselas immer einen Blick auf Minderheiten, Menschen am Rande der Gesellschaft oder auf kriegerische Auseinandersetzungen, die sonst eher von der Weltöffentlichkeit übersehen worden wären. Besonder beeindruckend finde ich ihre Serie aus El Salvador (1978-1983). Zu der Zeit hatte sie immer zwei Kameras dabei – eine für farbige und eine für schwarz-weiße Fotos. Aus einer Reihe an schwarz-weißen Fotos sticht ein einzige Farbfoto hervor, dass mich gleichzeitig packt und mir auch eiskalte Schauer über den Rücken laufen lässt, obwohl die anderen Fotos herum viel mehr Gräuel zeigen.

6 Fotos aus der Reihe El Salvador, Susan Meiselas. In der Mitte oben ein farbiges Foto mit weißen Handabdrücken.
El Salvador, Susan Meiselas

Doch auch all die anderen Konflikte wie zum Beispiel der Genozid an den Kurden im Nordirak unter Saddam Hussein sind beeindruckende Zeitdokumente, bei denen Susan sich mit ihren Porträtierten auseinander setzt, deren Perspektive einnimmt und über ihre Fotos in Dialog tritt. Dazu hat sie wieder akribisch Material gesammelt, um mit Collagen jahrhunderte alte Zusammenhänge aufzuzeigen – das “bigger picture” zu zeichnen. Gerade das macht Susan Meiselas und ihr Werk so besonders, so einzigartig und so wertvoll für die Nachwelt. Denn es regt zu einem stärkeren Auseinandersetzen mit Themen und Fotos an.

Susan Meiselas erklärt über einer Vitrine die Auseinandersetzung mit der kurdischen Diaspora.
Susan Meiselas erklärt über einer Vitrine die Auseinandersetzung mit der kurdischen Diaspora.

Lesetipps*:

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Bieke Depoorter – A Chance Encounter

Eine Konzeptkünstlerin der neueren Generation ist die belgische Fotografin Bieke Depoorter, die eine Traumkarriere bei Magnum hingelegt hat. 2009 schloss sie ihren Master in Ghent ab, 2012 mit 25 Jahren wurde sie als Kandidatin (nominee member) bei Magnum aufgenommen, 2014 wurde sie associate member und bereits 2016 full member.

Bieke Depoorter Ausstellungsplakat "A Chance Encounter", C/O Berlin.
Bieke Depoorter – A Chance Encounter

Für ihre im C/O Berlin ausgestellten Konzeptarbeiten Michael und Agata liegen zufällige Begegnungen, aber über die Jahre enge werdende, persönliche Beziehungen zugrunde. Dies beeinflusste ihre Fotografie sichtlich und verwischt die Grenze, die viele Fotograf:innen zwischen ihren Subjekten und sich ziehen. Doch wie kommt man sonst solchen Charakteren näher, die am Rande der Gesellschaft stehen, wenn nicht über eine enge persönliche Bindung?

Michael

Der erste Teil der Einzelausstellung von “A Chance Encounter” ist einem Mann gewidmet, der sich erst in Biekes Leben schleicht, um dann auf mysteriöse Weise wieder daraus zu verschwinden.

Michael - Bieke Depoorter, C/O Berlin.
Michael.

Sie lernt Michael 2015 auf den Straßen von Portland, Oregon (USA) kennen. Dreimal trifft sie den möglicherweise bipolaren Mann. Nach seinem Verschwinden bleiben ihr genau drei Koffer, die er ihr vermacht hat. Einen für jede Begegnung, so scheint es. Koffer voller Skizzenbücher, Essays und persönliche Gegenstände, in die Bieke akribisch eintaucht, um Michael wiederzufinden.

Überbleibsel einer Begegnung und Spurensuche, Michaels Koffer und Bücher. Bieke Depoorter, C/O Berlin.
Überbleibsel von Michael.

Immer wieder sucht sie ihn und geht jedem Hinweis nach, den das Material ihr zu geben scheint. Fast obsessiv verfolgt sie Michaels Leben, sein Denken und Handeln. Dabei stellt sie sich die Frage, warum wir zu akzeptieren scheinen, dass Menschen, die besonders schutzbedürftig sind, einfach verschwinden. Was sagt das eigentlich über uns als Menschen und unsere Gesellschaft aus?

Brief und Notizzettel, Überbleibsel eines Lebens. Bieke Depoorter, C/O Berlin.

Agata

Mit Agata Kay, einer polnischen Sexworkerin, die Bieke Depoorter im Oktober 2017 in einer Striptease-Bar in Paris kennenlernte, war es nicht immer einfach. Bis heute kollaborieren sie miteinander, ungefiltert und intensiv, wie die Bilder zeigen.

Bieker Depoorter vor einer Reihe an großformatigen Fotos (wie Fototapete) von Agata, C/O Berlin.
Bieke Depoorter vor Fotos von Agata.

Dazu schreiben sie sich unregelmäßig und setzen sich mit ihrer Freundschaft und den Bildern auseinander. Das ist nicht immer positiv und oft auch verstörend. Laut, oft zu nah und ungeschönt. Doch beide junge Frauen finden dadurch zu sich selbst, durchlaufen einen Selbstfindungsprozess, der auch mal weh tut. Nachzulesen in den Abdrucken der Briefe innerhalb der Ausstellung.

Ausdrucke von Briefen zwischen Bieke Depoorter und Agata.
Briefe.

That night you have showed me the pictures of your project about Michael. I felt I understood something about your sensitivity and I cried because I found it beautiful. First you were looking for Michael, more literally and now you are looking for me in a metaphorical, conceptiual way… So much attention you can give to a stranger… This attention is pure.

Agata

Bieke versucht Agatas Entscheidung zu verstehen, mit Sex ihren Lebensunterhalt zu verdienen, reflektiert ihre eigenen Vorurteile und Bedenken. Dazu entsteht auch ein erstes Buch*(Werbelink amazon.de), an dem auch Bieke wachsen wird. Denn daran zerbricht fast die Freundschaft und das hollistische Projekt, denn Agata beinhaltet mehr über Biekes Verhältnis zu Fotografie als über die namensgebende Protagonistin. Erst ein zweites Buch, welches Agata und die Sexarbeit in den Fokus rückt, rettet die spannungsgeladene Freundschaft.

Gemeinsam fuhren sie auch in Agatas Heimat Polen. Anscheinend ein Wendepunkt im Leben der Sexworkerin, denn danach offenbart sie Bieke, dass sie nun auch Fotografin werden möchte. Ein Schritt im Leben, den Bieke Depoorter sicherlich genauso ohne Distanz und schonungslos begleiten wird.

Blick in die Ausstellung zu Agata mit Videoinstallation, Bildern, Briefen. C/O Berlin.
Agata.

Wer schonungslose moderne Fotografie mag, wird von Bieke Depoorter begeistert sein. Diese grenzüberschreitende “in your face” Fotografie und die dazugehörigen Installationen, Projektionen und Briefe geben eine ungeschönten Blick frei, der weit über einen Blick hinter die Kulissen eines Projekts hinaus reicht.

Lesetipps*:

Bieke Depoorter: As it may be
Bieke Depoorter: As it may be
Bieke Depoorter: Wie es sein mag; ABIS_BUCH; Öffnung
48,31 EUR

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Weitere Informationen zu den Magnum 75-Ausstellungen

C/O Berlin Foundation
Amerika Haus
Hardenbergstraße 22-24
10623 Berlin

Website

Die Ausstellungen liefen vom 30.04.-07.09.2022 im C/O Berlin, ursprünglich im Rahmen der Berlin Photo Week bis 09.09.2022.


Fotos: Diese und weitere Fotos unterliegen meinem Urheberrecht, die abgebildeten Werke jeweils dem Urheberrecht der Künstlerinnen. Die Fotos dürfen nicht ohne Genehmigung genutzt werden und wurden ausschließlich für die Besprechung der Ausstellung erstellt.

Offenlegung: Ich wurde zur Pressevorstellung eingeladen. Anreise und Übernachtung in Berlin habe ich selbst getragen.


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Romy

Romy (*1981) hat ihre Heimatbasis in der Ruhrmetropole Dortmund und arbeitet als Blogger und Freelancer im Bereich Social Media, Content Strategie und Community Management.

Sie bloggt seit 2006.
Übers Reisen regelmäßiger seit 2013. Wenn sie Zeit dazu findet.

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